Mystisches “Nulldefizit”?

In den letzten Tagen und Wochen wurden von der Europäischen Kommission, dem Finanzministerium, der Nationalbank und dem Fiskalrat unterschiedliche Prognosen für das Defizit 2018 und 2019 veröffentlicht.

Das gezeichnete Bild der Budgetsituation ist über alle Prognosen hinweg ökonomisch eindeutig: Passend zu einer sehr guten Entwicklung der Wirtschaftslage im Jahr 2018 (je nach Quelle derzeit 2,7% bis 3% Wachstum des realen BIP) stellt sich der Haushalt im Wesentlichen ausgeglichen dar. Konjunktureller Rückenwind einerseits und strukturelle Maßnahmen der Bundesregierung andererseits können für 2018 nach vielen Jahren anhaltender Defizite aller Voraussicht nach einen neutralen Staatshaushalt erreichen. Damit hält Österreich alle Fiskalregeln für 2018 und 2019 aus heutiger Sicht eindeutig ein – die Verfehlungen der Ausgabenregel sind aufgrund der Gesamterfüllung des sogenannten “MTO” im Sinne der Einhaltung des Fiskalpaktes technisch nicht relevant (wenn auch in Zukunft selbstverständlich weiterhin inhaltlich im Auge zu behalten, insbesondere in Hinblick auf die Dynamik der Entwicklungen im Bereich der Daseinsvorsorge – Pflege, Gesundheit, Pensionen). Entscheidend ist, diese Budgetdisziplin weiterhin zu halten und auch den Herausforderungen der Zukunft frühzeitig und konsequent zu begegnen.

Trotz dieser generell erfreulichen Entwicklung des Staatshaushaltes, die in dieser Phase der Konjuktur auch geboten ist, um wieder Manövriermasse für die Zukunft sicherzustellen (wenn der Wirtschaftsmotor in den nächsten Jahren einmal nicht mehr so brummen wird), geht es derzeit in der öffentlichen Diskussion interessanterweise hauptsächlich um die Frage, ob denn das Nulldefizit im Sinne der magischen Zahl “Null” bereits 2018 erfüllt wird oder nicht.

Geht es nach den Prognosen von Fiskalrat und OeNB, dann ist das 2018 bereits möglich – nach den Prognosen der Europäischen Kommission (EK) und des Finanzministeriums (BMF) könnte das auch erst 2019 der Fall sein und 2018 noch ein Fehlbetrag von bis zu 1 Mrd. EUR vorhanden sein.

Obwohl Geldbeträge dieser Größenordnung viel Geld sind, handelt es sich gesamtwirtschaftlich gesehen doch “nur” (daher unter demütigen Anführungszeichen!) um 0,3% des BIP – oder anders ausgedrückt um eine Differenz von maximal 3 Tausendstel (!) der Wirtschaftsleistung. Realisitisch betrachtet kann vor Jahresende – und ehrlicherweise auch noch Monate danach, bis alle Daten vorliegen – niemand vorhersehen, wie das Jahr 2018 tatsächlich zu Ende gehen wird. Prognosen sind – wenn auch nach bestem Wissen und mit ausgefeilten Methoden und Modellen – Prognosen und keine Vorhersehung der Realität.

Die – von allen geteilte – Kernaussage bleibt jedenfalls: Der österreichische Staatshaushalt ist stabil und im Großen und Ganzen ausgeglichen, ob jetzt -0,1, null oder +0,1 dort stehen wird. Es wäre wünschenswert, vor lauter Bäumen der Detailzahlen nicht den Wald in seinem Gesamtbild der Budgetsituation zu übersehen.

Es gibt verschiedene Gründe, warum trotz bester Daten, Methoden und Modelle bei derartigen Prognosen immer eine Unschärfe bleiben muss:

  • Die zugrundeliegenden Daten (Konjunktur, BIP, Arbeitsmarkt, Steuereinnahmen, Ausgaben) stammen aus unterschiedlichen Prognosen von verschiedenen Zeitpunkten.
  • Das noch laufende Weihnachtsgeschäft kann maßgeblichen Einfluss auf Zahlungsströme bzw. das endgültige BIP haben.
  • Zahlen von Ländern und Gemeinden müssen für den Gesamtstaat mit den Zahlen des Bundes erst zusammengefasst werden.
  • Zahlungszeitpunkte bei den Steuern können gerade über den Jahreswechsel hinaus zu unvorhersehbaren Effekten führen.
  • Globale Unsicherheiten (Brexit etc.) können in Prognosen nur bedingt berücksichtigt werden, da Größe und zeitliche Struktur der Effekte nicht vorhersehbar sind.
  • Revisionen der Definitionen, der Daten sowie Methodik bei der Berechnung bestimmter Größen sind der Regelfall und können vor allem “strukturelle Größen” (z.B. das “strukturelle Defizit”) auch Jahre danach rechnerisch noch maßgeblich verändern. Allein die sogenannte “statistische Differenz” bei der Berechnung des BIP konnte sich in den letzten Jahren auch schon einmal auf über 800 Mio. EUR belaufen.
  • Die Berechnung der Defizite nach den Maastrichtregeln ist im Einzelfall komplex, weil die Zurechnungen zum öffentlichen Sektor und die Abgrenzungen der Einnahmen und Ausgaben inhaltlich und zeitlich nicht immer eindeutig sind.

Beispielhaft hat der Fiskalrat im letzten Jahr in einer Analyse die Prognoseunsicherheiten für die wichtigsten Budgetkomponenten zwischen 2014 und 2017 ermittelt:

Dabei sieht man, dass die Abweichungen für das Budgetdefizit bei den prognostizierenden Institutionen (EK, BMF und Fiskalrat) im Schnitt 0,36 bis 0,44 Prozentpunkte (des BIP) betragen.

Fazit: Der exakte Zeitpunkt, wann auf dem Papier das Minus in ein Plus umschlägt, mag zwar in der Diskussion spannend sein. Der entscheidende Punkt allerdings ist, dass sich Österreich derzeit – auch im internationalen Vergleich – über eine stabile Budgetsituation freuen kann, die Anstrengungen und Diszplin aber gerade jetzt konsequent weitergeführt werden müssen.

Zinszahlungen Griechenland: zurückzahlen?

Profitieren andere Länder von der Griechenland Krise?

Medienberichten zufolge hat Deutschland seit 2015 etwa 1,34 Mrd. EUR an Zinsgewinnen aus Darlehen und Anleihenkäufen im Rahmen des Ankaufsprogramms der europäischen Zentralbank erzielt. Für Österreich betragen die Zinsgewinne im Zusammenhang mit den Hilfen für Griechenland bisher rund 111 Mio. EUR . Auf Basis dieser Tatsachen wird nun eine Diskussion geführt, ob andere Euro-Länder von der Griechenland Krise profitiert haben und ob die Zinszahlungen an Griechenland zurückgezahlt werden sollen.

Bisherige Finanzhilfen für Griechenland

Die Unterstützung aus der Eurozone für Griechenland in den letzten Jahren war durchaus beachtlich: bereits im Jahr 2010 wurden im Zuge des ersten Rettungspakets bilaterale Kredite von 73 Mrd. EUR ausbezahlt. Im Rahmen des zweiten Rettungspakets aus dem Jahr 2012 wurden 143 Mrd an Finanzierungen ausbezahlt. Das aktuelle dritte Rettungspaket weist ein Volumen von bis zu 86 Mrd EUR auf.

Für einen beachtlichen Teil der Finanzierungen sind entweder derzeit nur Zinsen und keine Tilgungen zu leisten (erst ab dem Jahr 2020 für die bilateralen Kredite im Rahmen des ersten Rettungspakets) bzw. auch Zinsen erst ab dem Jahr 2022 zu bezahlen (wesentliche Teile des zweiten Rettungspakets), die Laufzeiten der Kredite bewegen sich im Bereich von ungewöhnlich langen rund 30 Jahren.

Darüber hinaus wurden griechische Kreditinstitute über die Instrumente der europäischen Zentralbank (“ELA”) zeitweise mit Liquidität in Höhe von bis zu € 90 Milliarden versorgt.

Im Jahr 2012 kam es auch zu einem empfindlichen Schuldenschnitt, bei dem die Gläubiger auf große Teile ihrer Forderungen verzichten mussten.

Null-Zinsen für Staatsschulden?

Die nun diskutierten (rechnerischen) Zinserträge Deutschlands, die sich jährlich somit auf rund 500 Mio. EUR belaufen und daher für die gesamte Eurozone hochgerechnet eine Größenordnung von etwa 2 Mrd. EUR pro Jahr betragen dürften, müssen daher in Relation zu den Hilfspaketen von über € 200 Milliarden gesetzt werden für ein Land, dessen aktuelle Bonität von Moody’s im Juni 2017 auf Caa2 angehoben (!) wurde (das fällt immer noch in die Kategorie “extrem spekulativ“). Die Ratingklassen Caa bis C weisen übrigens über fünf Jahre eine durchschnittliche Ausfallsrate von etwa 56% aus.

Es gibt daher viele Gründe, warum Zinszahlungen für griechische Staatsschulden systematisch sinnvoll sind und eine Refundierung an Griechenland ökonomisch wenig Sinn machen würde:

  • Ziel einer Stabilisierung des griechischen Staatshaushaltes ist es unter anderem, Griechenland wieder vollen Zugang zu den Finanzmärkten zu ermöglichen. Daher müssen auch griechische Staatsanleihen prinzipiell eine marktkonforme Verzinsung aufweisen, da private Investoren sonst keinesfalls derartige Schuldtitel erwerben würden.
  • Verschiedene andere europäische Länder zahlen für ihre Staatsschulden teilweise deutlich höhere Zinsen bei gleichzeitig kürzeren Laufzeiten und erheblich besserer Bonität. Eine weitere Refundierung von griechischen Zinszahlungen käme einer Subvention gleich, die weder marktkonform noch anderen Ländern in der Eurozone gegenüber zu argumentieren wäre. Auch gegenüber den Steuerzahlern in der Eurozone wäre es nur schwer zu argumentieren, warum ein Land für die von ihm aufgenommenen Verbindlichkeiten gar keine Zinsen zahlen sollte.
  • Die Risikokosten griechischer Staatspapiere sind aufgrund der immer noch geringen Bonität sehr hoch und werden in den derzeitigen Zinszahlungen bei weitem nicht abgegolten.
  • Insbesondere Griechenland hat im Zuge der Hilfspakete außerordentlich günstige Finanzierungskonditionen bekommen, Laufzeiten wurden teilweise um 15 Jahre verlängert, Zinszahlungen gestundet und Finanzierungen vergeben, die am Markt auch zu zweistelligen Zinssätzen nicht verfügbar gewesen wären. Der Zinsdienst und Schuldendienst ist für den griechischen Staatshaushalt alles andere als kritisch, sondern ist aufgrund dieser Konditionen für die Stabilität der Finanzlage von deutlich untergeordneter Bedeutung.
  • Die Finanz- und Wirtschaftskrise war für alle Länder Europas eine große Herausforderung – die Schuldenkrise in Griechenland war letztlich ein Resultat einer langjährigen nicht nachhaltigen griechischen Budgetpolitik, die schließlich in Zeiten der Krise an ihre Grenzen gestoßen ist. Vielleicht auch, weil die Verzinsung griechischer Staatsanleihen aufgrund der Mitgliedschaft in der Eurozone nicht ausreichend auf den instabilen Budgetpfad reagiert hat. Eigentlich hätten alle europäischen Rechtsnormen den anderen Mitgliedstaaten verboten, hier finanziell einzuspringen – trotzdem wurden entsprechende Rettungsmaßnahmen in Europa (richtigerweise in dieser Situation) zugunsten Griechenlands gesetzt.
  • Die angeblichen „Gewinne“ Deutschlands im Zusammenhang mit Griechenland umfassen mehr als 900 Mio EUR im Zusammenhang mit dem Anleihenkaufprogramm der europäischen Zentralbank. Dieses verfolgt jedoch nicht das Ziel einer Stabilisierung der griechischen Staatsfinanzen und stellt auch keine Primärmittel zur Verfügung, sondern versucht über expansive Geldpolitik die Inflationsraten auf den Zielwert von rund 2 % zu bringen. Der Ankauf griechischer Staatsanleihen erfolgt im Wesentlichen nach gleichen Gesichtspunkten wie der Ankauf von Staatsanleihen aller anderen Staaten. Die EZB vergibt hier auch keine direkten Kredite an Griechenland, sondern kauft lediglich am (Sekundär-)Markt anderen (privaten) Gläubigern bereits vorhandene griechische Staatsanleihen mit einer entsprechend bereits festgelegten Verzinsung ab. Durch diese Anleihenkäufe wird das Zinsniveau für Staatsanleihen übrigens sogar gedrückt – auch Griechenland profitiert daher von geringeren Marktzinssätzen bei der Neuemission von Staatspapieren. Der rechnerische Anteil Deutschlands an diesen Zinserträgen der EZB aus Anleihen ist eine rein fiktive Größe, da diese Zinserträge ja auch nicht 1:1 an Nationalstaaten ausgeschüttet werden. Darüber hinaus ist die Verzinsung der ELA-Kredite der EZB mit etwa 1,5 % für notleidende griechische Kreditinstitute alles andere als marktkonform und verursacht erhebliche Risikokosten bei der EZB.
  • Gerade die am Markt geforderten Zinszahlungen auf Staatsschulden sind ein zumindest halbwegs interessanter Indikator für die Einschätzung der Bonität eines Nationalstaats und in gewisser Weise auch ein Disziplinierungsinstrument, damit Staaten sich nicht unbeschränkt verschulden (können und wollen). Es wäre ein sehr problematisches Signal, wenn gerade budgetär angeschlagene Staaten wie Griechenland von diesem Mechanismus ausgenommen würden.

Aus ökonomischer Sicht lassen sich daher kaum stichhaltige Argumente für eine weitere Erleichterung bei den griechischen Zinszahlungen finden – ganz im Gegenteil würden wesentliche Marktmechanismen ausgehebelt werden, die für eine Normalisierung der Situation und eine mittel- bis langfristige vollkommene Rückkehr Griechenlands an die Finanzmärkte unabdingbar sind. Und abgesehen davon, dass eine Stabilisierung der europäischen Finanzmärkte in Bezug auf die Griechenlandkrise selbstverständlich für ganz Europa von großer Bedeutung war und ist, waren und sind die Hilfspakete für die helfenden Staaten in Summe finanziell wohl sicher kein gutes Geschäft, sondern eher der europäischen Solidarität und der Stabilität Europas geschuldet.

Unternehmerisches Risiko – Unternehmertum als “Versicherung”

Wertschöpfungsprozess und unternehmerisches Risiko

Selbständige und unselbständige Arbeit spielen im Rahmen des Wertschöpfungsprozesses in ihrem Zusammenwirken eine entscheidende Rolle – nur mit Hilfe beider Komponenten kann Wirtschaftsleistung erzielt werden. Viel genannt wird in diesem Zusammenhang auch das unternehmerische Risiko – dessen positiven Aspekte allerdings in der Literatur fast immer nur in den Bereichen Innovation, Wirtschaftsdynamik oder Gewinnpotenzial gesehen werden. Dabei gibt es noch eine ganz andere positive Seite, wenn selbständige und unselbständige Arbeit in ihrem Zusammenspiel betrachtet werden.

Warum durch Risikoübernahme der Kuchen größer wird …

In vielen Fällen sind wir es gewöhnt, dass Situationen ein Null-Summen-Spiel ergeben: isst zum Beispiel eine Person eine Wurstsemmel, dann kann niemand anderer diese Wurstsemmel ebenfalls essen. Bekommt der eine mehr, dann oft der andere weniger. Allerdings gibt es in der Wirtschaft einige wenige Ausnahmen von dieser Regel. Eine der wichtigsten besteht darin, wenn Situationen unsicher sind und es irgendwie gelingt, diese unberechenbare Unsicherheit in ein kalkulierbares Risiko oder sogar noch besser in Sicherheit umzuwandeln.

Das lässt sich an einem einfachen Beispiel erläutern. Angenommen, wir haben die Wahl zwischen zwei verschiedenen Möglichkeiten: entweder bekommen wir z.B. (a) € 5 Million geschenkt oder es wird uns (b) ein Glücksspiel angeboten, bei dem eine Münze geworfen wird, und je nach Ergebnis erhalten wir entweder gar nichts oder € 10 Millionen.

Betrachten wir einmal Fall (b) genauer: Die Wahrscheinlichkeit zu gewinnen ist gleich groß wie die Wahrscheinlichkeit zu verlieren, also 50:50. Allerdings nützt die Kenntnis dieser Wahrscheinlichkeit im Einzelfall nicht übermäßig viel, denn rein statistisch beträgt der durchschnittliche Gewinn zwar genau € 5 Millionen, aber ob nun im Einzelfall ein Gewinn von null oder von 10 Mio. herauskommt, lässt sich nicht sagen. Wiederholt man dieses Spiel aber unendlich oft, dann wird man ziemlich genau in der Hälfte der Fälle gewinnen und in der anderen Hälfte der Fälle leer ausgehen, sodass sich eben ein rechnerischer Gewinn von den genannten € 5 Million ergibt. Je öfter nun das Spiel wiederholt wird, desto wahrscheinlicher wird man im Durchschnitt diesen erwarteten Betrag von 5 Million erhalten. Für den einzelnen Spieler kann das Ergebnis also erheblich schwanken, für die Spielbank in der großen Anzahl der Wiederholungen wird es aber recht gut vorhersehbar.

Wenn jemand vollkommen neutral in Bezug auf Risiko eingestellt ist – also weder um jeden Preis jedes auch noch so kleinste Risiko vermeiden möchte, noch bewusst das Risiko nur um des Nervenkitzels willen sucht –, dann ergibt sich daraus ein interessantes Verhalten, dass die meisten Menschen auch gefühlsmäßig nachvollziehen können. Fast alle Menschen würden sich nämlich im genannten Fall (entweder sichere € 5 Millionen oder ein Glücksspiel zwischen null und € 10 Millionen mit einer Fifty-fifty Chance) für die sicheren €5 Millionen entscheiden. Wer das aus irgendwelchen Gründen nicht glauben sollte, kann für sich gerne das Gedankenexperiment auch mit größeren Beträgen, zum Beispiel € 10 Milliarden durchführen. Wer dann noch behauptet, sich lieber auf das Glücksspiel einzulassen anstelle von sicheren € 5 Milliarden, mit denen man sich wohl das ganze Leben lang viel mehr leisten könnte, als man je ausgeben kann, rückt schon mehr als nur bedenklich nahe an die Spielsucht.

Die Ökonomie erklärt dieses Phänomen auch damit, dass Geld wie fast alle anderen Dinge im Leben auch, einen sogenannten „abnehmenden Grenznutzen“ aufweist: je mehr Geld man hat, desto weniger ist einem subjektiv ein weiterer Euro wert. Daher wäre es in der Entscheidungssituation des Beispiels auch vollkommen rational, lieber sichere € 5 Millionen zu behalten, als mit jeweils gleicher Wahrscheinlichkeit € 5 Millionen zu verlieren oder € 5 Millionen dazu zu gewinnen. Die zusätzlich lachenden € 5 Millionen sind einfach subjektiv weniger wert als jene € 5 Millionen, die man dabei gedanklich verlieren könnte. Oder anders gesagt: auch bei gleicher Wahrscheinlichkeit bringt die Abweichung nach oben weniger als die gleich große Abweichung nach unten an Schaden verursacht.

Aus dem hier dargestellten Beispiel wird klar, dass ein sicherer Geldbetrag offensichtlich subjektiv mehr wert ist als ein ebenso hoher Geldbetrag, der aber unsicher ist. Daher kann man versuchen, jenen sicheren Geldbetrag auszurechnen, der den gleichen subjektiven Wert wie ein unsicherer Geldbetrag hat. Diese Größe wird „Sicherheitsäquivalent“ genannt und hängt hauptsächlich von den Wahrscheinlichkeiten unterschiedlicher Geldbeträge (also der Verteilung möglicher Ergebnisse) sowie der subjektiven Einschätzung des Nutzens unterschiedlicher Geldbeträge ab.

Das hier dargestellte Faktum ist in der Ökonomie schon lange Zeit als „Erwartungsnutzentehorie“ bekannt und bildet die Grundlage für die Theorie der Versicherung. Indem sehr viele Menschen in einen Topf bei einer Versicherung einzahlen und somit in Form ihrer Prämienzahlungen eine Art „sicheren laufenden Schaden“ haben, vermeiden Sie das Risiko eventuell eintretender, dann aber viel höherer Schäden. In Summe werden dabei sowohl die Versicherten bessergestellt (weil ja die Sicherheit an sich einen Wert darstellt und daher die bezahlten Prämien weniger schmerzen als der Gewinn an Sicherheit) als auch Gewinne für die Versicherung möglich (da die Prämie etwas höher angesetzt werden kann als rechnerisch dem durchschnittlichen Schaden entspricht).

Unternehmertum ist Risikoübernahme

Übertragen auf das Unternehmertum bedeutet das nun folgendes: wenn die Umsätze des Unternehmens schwanken, schwanken auch die Einkünfte des Unternehmers. Der Unternehmer fängt in gewisser Weise die Schwankungen des Unternehmensergebnisses auf, in dem sein Gewinn jene Größe ist, die nach Bezahlung der Beschäftigten und des Materials etc. übrigbleibt. Auf der anderen Seite ändern sich die Einkünfte der unselbstständig Beschäftigten aber kaum, da diese in den Arbeitsverträgen bzw. auf Basis der Kollektivverträge festgelegt sind und in der Regel nicht vom unternehmerischen Erfolg direkt abhängen.

Einkommensverlauf
Einkommensverlauf

Unternehmer sind also mit deutlich schwankendem Einkommen konfrontiert und fangen damit in gewisser Weise die wirtschaftlichen Schwankungen des Unternehmens ab. Die unselbstständig Beschäftigten auf der anderen Seite werden so gewissermaßen von den Arbeitgeberbetrieben versichert, da deren Einkommen großteils bereits im Vorhinein feststeht und keinen nennenswerten Schwankungen unterliegt.

Diese Versicherungsfunktion der Unternehmen führt dazu, dass der sprichwörtliche Kuchen für die Arbeitnehmer größer wird – denn eine betragsmäßig sichere Gehalts- oder Lohnzahlung hat einen höheren Wert als Einkünfte, die zwar durchschnittlich gleich hoch sind, aber Schwankungen unterliegen.

Beitrag der Unternehmer durch Risikoübernahme wird nicht vom Markt honoriert

Es wäre nun naheliegend anhand der Einkommensdaten von Selbstständigen und Unselbstständigen zu berechnen, welchem sicheren (niedrigeren) Einkommen die schwankenden Einkünfte der selbstständig Erwerbstätigen entsprechen und diese mit dem durchschnittlichen Einkommen der unselbstständig Erwerbstätigen zu vergleichen. Auf einem idealtypischen, voll funktionsfähigen Markt müssten diese beiden Beträge theoretisch gleich sein, da es eine Art Abgeltung für die Risikoübernahmefunktion der Unternehmer geben müsste. Abgesehen von Schwierigkeiten der Datenverfügbarkeit (korrekte Erfassung aller selbstständigen Einkünfte inklusive Gewinnausschüttungen bei Kapitalgesellschaften aber exklusive nicht unternehmerischer Einkunftsarten, Unschärfen unter der Mindestbeitragsgrundlage und über der Höchstbeitragsgrundlage der Sozialversicherung sowie bei Einkünften, die aufgrund ihrer geringen Höhe nicht der Steuerpflicht unterliegen, Berücksichtigung von Gewinnausschüttungen von Kapitalgesellschaften bei geschäftsführenden Gesellschaftern, Abgrenzung von Arbeitgeberbetrieben gegenüber ein Personen Unternehmen, …) würde diese Übung aber kein brauchbares Ergebnis liefern: die durchschnittlichen Einkünfte der Selbstständigen liegen nämlich unter jenen der Unselbstständigen.

Nach dem Einkommensbericht 2016 (Rechnungshof/Statistik Austria) liegt das mittlere Bruttojahreseinkommen (Median) für das Jahr 2015 bei unselbstständig Erwerbstätigen (ohne Lehrlinge) bei € 26.678, bei den ausschließlich ganzjährig Vollzeitbeschäftigten bei € 39.812. Inklusive Lehrlingen und Teilzeitbeschäftigungen beträgt das mittlere Einkommen bei den unselbständig Erwerbstätigen € 20.116. Demgegenüber erzielen ausschließlich selbstständig tätige Personen (immerhin 333.115 Personen) im Jahr 2013 (das ist die aktuellste verfügbare Statistik) nur € 11.388 (inkludiert man auch Pensionisten und gemischt selbstständig und unselbstständig Erwerbstätige Personen, so liegt der Vergleichswert ebenfalls bei vergleichsweise niedrigeren € 22.183). Einige weitere Details finden sich in der Tabelle unten (Q: Rechnungshof/Statistik Austria, 2016).

Methodisch macht es daher wenig Sinn, einen Vergleich zwischen unselbständigen und selbständigen Einkommen im Sinne einer Korrektur um die Unsicherheit des Einkommens vorzunehmen. Inhaltlich wäre es auch zweifelhaft, die unterschiedlichen Gruppen von Erwerbstätigen einander gegenüberzustellen, da die Wertschöpfung (und somit die Quelle des Wohlstandes) in betrieblichen Strukturen gemeinsam von Arbeitgebern und Arbeitnehmern erwirtschaftet wird. Daher erfolgt im nächsten Schritt von diesem Vergleich losgelöst eine beispielhafte Abschätzung, um wie viel „der Kuchen“ durch die Risikoübernahme der Unternehmen für die Beschäftigten größer wird.

Abschätzung der Größenordnungen der „Versicherungsfunktion“

Überträgt man in einem Gedankenexperiment die Schwankungen der Einkünfte der Selbstständigen auf die unselbstständig Erwerbstätigen und berechnet das oben dargestellte „Sicherheitsäquivalent“, so kann man grob abschätzen, welchem Geldbetrag diese Sicherheit der unselbstständigen Einkommen entspricht, weil die Unternehmer Schwankungen der Ertragslage ausgleichen und nicht an die Beschäftigten weitergeben. Es wird also eigentlich der hypothetische Fall, dass Löhne und Gehälter aller Beschäftigten im gleichen Ausmaß wie die Einkommen der Selbständigen an die wirtschaftliche Situation des Unternehmens angepasst werden und diese daher das unternehmerische Risiko in gleicher Weise mit allen Chancen, aber auch Risken, mittragen verglichen mit der realen Situation, in der die Löhne und Gehälter unabhängig vom Unternehmensergebnis ausbezahlt und betraglich unverändert gehalten werden.

Unter den getroffenen Annahmen lässt sich der Wert dieser Sicherheit bei den unselbstständig Beschäftigten mit rund 3,5 % des tatsächlich ausbezahlten Bruttoeinkommens ermitteln. Dies entspricht somit einem Betrag von etwas mehr als € 1.000 brutto jährlich je Beschäftigten. Für das Bundesland Niederösterreich tragen die Unternehmer somit durch die Stabilisierung der unselbstständigen Einkünfte mit rund € 640 Millionen zusätzlich zum Wohlstand bei, da die Stabilität der unselbstständigen Einkünfte der Beschäftigten für diese einen zusätzlichen Nutzen bringt. Anders ausgedrückt: die Bereitschaft der Unternehmer, unternehmerisches Risiko und damit schwankende Einkommen auf sich zu nehmen und im Gegenzug betraglich kaum schwankende Löhne und Gehälter auszuzahlen, wirkt allein in Niederösterreich wie eine Versicherungsleistung für die Beschäftigten mit einem Wert von über einer halben Milliarde EUR jährlich. Damit wird deutlich, dass selbständige und unselbständige Arbeit komplementäre Aspekte im Wirtschaftsprozess darstellen und dass nur im Zusammenspiel beider Komponenten das gesamte Potenzial bestmöglich ausgeschöpft werden kann – gemeinsam wird der Kuchen größer!

  • Anmerkungen: Für die hier dargestellte quantitative Abschätzung wurde eine Einkommenselastizität des Grenznutzens von 1,26 angenommen sowie eine Standardabweichung der selbstständigen Einkommen von 2290. Dabei handelt es sich um Werte aus der Literatur bzw. eine Schätzung der Einkommensvariabilität anhand einer Hochrechnung aus 200 Unternehmensdatensätzen sowie statistischen Daten über die Einkommen der Selbständigen. Die Einkommensvariabilität ist aufgrund von nur eingeschränkter Datenverfügbarkeit bzw. -qualität nur schwer zu ermitteln und wird sehr vorsichtig angenommen, da insbesondere negative Werte des Einkommens (Verluste) in der Analyse abgeschnitten und auf null gesetzt werden. Die ermittelten Ergebnisse bewegen sich daher deutlich am unteren Ende der anzunehmenden Effekte und verstehen sich als eine erste grobe Abschätzung der zahlenmäßigen Dimensionen. Es wurde in den Simulationen ein Zeitraum von 20 Jahren berücksichtigt sowie der Mittelwert aus 5 stochastisch-dynamischen Szenarien ermittelt. In den simulierten Szenarien ergeben sich Werte für den Wert der Sicherheit im Intervall von 2,03% bis 7,16%.

Kalte Progression abschaffen – ganz oder gar nicht

Progressiver Tarif

Im Bereich der Einkommensteuer und der Lohnsteuer gibt es in Österreich, wie auch in den meisten anderen westlichen Ländern, einen progressiven Tarif. Das Einkommen wird also nicht zu einem festen Steuersatz versteuert, sondern jeweils höhere Einkommensteile werden immer höheren „Grenzsteuersätzen“ in genau definierten Tarifstufen unterworfen. In Österreich bleiben beispielsweise Einkommensbestandteile unter € 11 000 steuerfrei, danach steigen die Steuersätze seit der letzten Steuerreform auf 25 %, 35 %, 42 %, 48 %, ab € 90 000 schließlich 50 % oder über € 1 Million (derzeit bis 2020 befristet) sogar 55 %. Dadurch ergibt sich eine treppenförmige Tarifstruktur, und der durchschnittliche Steuersatz steigt bei höherem Einkommen auch entsprechend an.

Das Problem der “kalten Progression”

Inflation stellt dabei aber ein systematisches Problem dar, denn wenn Löhne, Gehälter und Einkommen aufgrund der Teuerung steigen, dann rutschen die Steuerpflichtigen mit Teilen ihres Einkommens unter Umständen in höhere Tarifstufen, sodass die prozentuale Steuerbelastung dadurch steigt, ohne dass die Kaufkraft der Einkommen und damit die steuerliche Leistungsfähigkeit der Betroffenen gestiegen ist.

Dabei kann es nun zu verschiedenen Schwierigkeiten kommen:

  • Gleichmäßigkeit der Besteuerung: Nicht alle Steuerpflichtigen sind gleichermaßen betroffen. Wer aufgrund eines niedrigen Einkommens keine Steuer bezahlt und die Tarifstufe nicht überschreitet, zahlt weiterhin nichts. Wer vorher ein Einkommen erzielt hat, dass gerade noch knapp unterhalb eines Grenzbetrages gelegen ist, wird möglicherweise besonders stark belastet.
  • Stabilität/Resilienz: Es kommt zu einer schleichenden Erhöhung der Steuerlast, auch wenn die Realeinkommen gar nicht gestiegen sind. Langfristig betrachtet würden alle Steuerpflichtigen schließlich sogar in die höchste Steuerstufe aufsteigen, wenn man nur lange genug zuwartet.
  • Effizienz: Das Steuersystem wird durch diese kalte Progression immer weniger „elastisch“, weil nach und nach über die Jahre hinweg alle Menschen in höhere Tarifstufen rutschen. Dadurch werden auch konjunkturelle Schwankungen weniger stark durch das Steuersystem automatisch stabilisiert.

Positiv für die Vermarktung der Politik ist jedoch, dass allein durch die Inflation automatisch zusätzliche Einnahmen in das Budget gespült werden, die entweder für Mehrausgaben herangezogen oder alle paar Jahre in eine (möglicherweise nur kosmetische) Steuerreform investiert werden können, bei der dann im Tarif nur das korrigiert wird, was durch die kalte Progression an Mehrbelastung hinzugekommen ist.

Aufgrund der oben genannten nachteiligen Auswirkungen der kalten Progression, wurde in Österreich schon lange vor der letzten Steuerreform immer wieder und teilweise recht ausgiebig über eine Abschaffung der kalten Progression diskutiert. Diese Übung wäre an sich nicht kompliziert: es müssten nur alle Tarifstufengrenzen regelmäßig und automatisch an die Inflation angepasst werden. Rein nominelle Einkommenserhöhungen hätten damit keine Progressionseffekte mehr zur Folge, darüberhinausgehende Einkommenserhöhungen würden nach wie vor zu einer entsprechenden Vorrückung in der Progression führen. Für die Komplexität der Steuerberechnung spielt das keine Rolle, denn niemand rechnet sich heutzutage einen Steuerbetrag händisch oder anhand der guten alten „Lohnsteuertabellen“ des letzten Jahrhunderts aus.

Kalte Progression und Umverteilung

Die österreichische Diskussion geht aber leider am Kern dieses grundsätzlich einfach zu lösenden Problems vorbei, und so wird in diesem Zusammenhang anstelle der Themen Effizienz, Stabilität, Resilienz und Gleichmäßigkeit der Besteuerung über ein Thema diskutiert, das mit der Problematik *kalter* Progression rein gar nichts zu tun hat: Umverteilung.

Denn genau Fragen der Umverteilung sollen ja durch einen progressiven Steuertarif angesprochen und umgesetzt werden. Wer mehr verdient, zahlt ja eben nicht proportional mehr Steuer, sondern überproportional (= progressiv). Das entspricht auch einem weitgehenden Konsens in Österreich (wenn man von schwer umzusetzenden vereinzelten Forderungen nach einer Flat Tax absieht). Genau durch die Progression im Tarif selbst kommt es ja bereits zu der offensichtlich gewünschten Umverteilung. Indem nun die kalte Progression (also eine schleichende Veränderung der Progression) verhindert wird, kann man genau diese erwünschte Verteilungswirkung konstant aufrechterhalten, ohne dass es eben zu unerwünschten und nicht kontrollierbaren Veränderungen genau dieser Verteilungsfunktion des Steuersystems kommt. Wer sich also zur Umverteilungswirkung eines progressiven Steuersystems bekennt, der muss rein logisch auch ein Interesse daran haben, dass diese Umverteilungswirkung stabil bleibt.

Auch wäre es in diesem Zusammenhang sinnwidrig, zu beklagen, dass jene, die keine Steuern zahlen, von den „Erleichterungen“ der Abschaffung der kalten Progression nicht profitieren – der Tarif sieht ja schon eine Umverteilung in dem Sinne vor, dass eben keine Steuern zu zahlen sind. Außerdem bringt die Abschaffung der kalten Progression keine „Erleichterungen“, sondern verhindert lediglich eine schleichende Mehrbelastung. Wer also keiner Steuer(mehr)belastung durch die kalte Progression ausgesetzt ist, leidet eben auch finanziell nicht darunter und muss daher davor auch nicht geschützt werden. Im Falle der Einschätzung, dass die Verteilungswirkungen des Steuersystems nicht unseren gesellschaftspolitischen Vorstellungen entsprechen, müsste der Tarif selbst entsprechend explizit korrigiert werden (es ist davon auszugehen, dass die Bundesregierung im Zuge der letzten Steuerreform dazu eigentlich die Gelegenheit hatte) – aber nicht auf eine diffuse Verschiebung der Steuerlasten über nicht vorhersehbare inflationäre Prozesse im Zeitverlauf spekuliert werden.

Ganz – oder gar nicht

Die Stabilität der Verteilungswirkung ist auch schon das größte logische Problem bei den derzeit in Diskussion befindlichen Kompromissen. Die typisch österreichische Lösung könnte nämlich darauf hinauslaufen, dass nur die unteren Tarifstufen automatisch an die Inflation angepasst werden, die oberen Tarifstufen aber nicht. Was sich auf den ersten Blick wie ein praktikabler Mittelweg darstellt, ist jedoch inhaltlich ein gravierender Holzweg. Wenn nämlich die unteren Tarifstufen mit der Inflation Jahr für Jahr angehoben werden, die oberen Stufen aber gleichbleiben, dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis die unteren Stufen die oberen gewissermaßen eingeholt haben. Es würde dann das Paradoxon entstehen, dass irgendwann eine niedrigere Steuerstufe ab dem gleichen Betrag wirksam wird wie die höhere – eine Situation, die freilich in einem Steuertarif logisch undenkbar ist. Spätestens dann müsste es zu einer umfangreichen strukturellen Tarifreform kommen, in der Praxis wird aber schon vorher die Progression so verzerrt werden, dass der Tarif praktisch unbrauchbar wäre.

Eine teilweise Abgeltung der kalten Progression würde den Steuertarif also nicht „stabiler“ und planbarer machen, sondern würde im Gegenteil schon heute das Erfordernis zukünftiger Korrekturmaßnahmen ein zementieren. In diesem Fall gilt also „ganz oder gar nicht“ – eine nur teilweise Valorisierung der Tarifstufen wäre nicht nur der klassische halbherzige österreichische Kompromiss, der den einen zu wenig weit geht und den anderen viel zu weit, sondern schlicht und einfach kontraproduktiv, weil das System dadurch nur labiler und inkonsistenter würde.

Abgehobene “Optimierungs”-Trugschlüsse

Bis zum Tellerrand gedacht und nicht weiter – das Problem der „lokalen Optimierung“ am Beispiel Flughafen Wien

Lokale Optimierung und „externe Effekte”

Denken auf Systemebene wäre bei der Gestaltung ökonomischer und gesellschaftlicher Systeme wichtig, denn das wohlgemeinte Optimieren von Teilsystemen führt selten zu einem globalen Idealzustand. Diese aus der Mathematik schon lange bekannte Tatsache gilt auch für Entscheidungen im öffentlichen Bereich, insbesondere, wenn verschiedene Ebenen des Staates involviert sind.

Eines der größten Probleme in Österreich ist, dass es im öffentlichen Bereich eine enorme Fragmentierung von Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten gibt. Vollkommen zurecht wird als eines der größten Zukunftsprojekte eine Bundesstaatsreform mit einer kompletten Neustrukturierung und Vereinheitlichung von Zuständigkeiten, Verantwortlichkeiten und Zahlungszuständigkeiten gefordert. Diese Fragmentierung führt aber zu einer Aufteilung in unterschiedliche Subsysteme, die dann jedes für sich optimiert werden – was selten für die Gesamtheit optimal ist.

Die Grundidee ist dabei ganz einfach: Sind Entscheidungsträger, Zahler und Nutznießer nicht ident, so kommt es in der Regel zu keinen optimalen Entscheidungen, weil sogenannte externe Effekte zu beobachten sind. Diese externen Effekte bedeuten, dass die Entscheidungen und Handlungen des einen Akteurs positive oder negative Effekte auf jemanden anderen haben können. Wer aber nicht alle Konsequenzen seines Handelns (sei es im positiven oder negativen Sinn) trägt, der trifft nur eine optimale Entscheidung für sich selbst und in der Regel nicht im Sinne einer Gesamtbetrachtung.

Beispiele dafür gibt es viele: sei es im Schulsystem, im Bereich Gesundheitsversorgung oder auch im Bereich der Infrastruktur.

Darüber hinaus leiden viele Entscheidungen auch noch unter einem anderen Mangel: oft sind Informationen nicht ausreichend verfügbar oder werden auch nicht korrekt verarbeitet. Bei komplexen Materien liegt dies in der Natur der Sache und lässt sich oft nicht vollständig vermeiden. Transparente Entscheidungsprozesse auf Basis offengelegter Fakten können hier zumindest in gewissem Ausmaß hilfreich sein.

Aktuelles Beispiel: 3. Piste am Flughafen Wien

Ein besonders gutes Beispiel, das symptomatisch für die Schwierigkeiten durch lokale Optimierung ist, stammt ausnahmsweise nicht aus dem Zusammenspiel zwischen Bund und Ländern oder Gemeinden, sondern aus der aktuellen Gerichtsentscheidung rund um die geplante dritte Piste am Flughafen Wien.

Zu den Eckdaten: Auf Basis der vorliegenden Gutachten ist davon auszugehen, dass die Kapazitäten des Flughafens in einigen Jahren nicht mehr ausreichen werden, um den Flugverkehr abdecken zu können. Somit wird seit Jahren darum gestritten, ob nun eine dritte Piste gebaut werden soll oder nicht. Kürzlich gab es dazu ein negatives Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts. Dass dieses Verfahren inklusive Mediation schon 16 Jahre dauert, wundert wohl kaum jemanden. Dass derartig lange Zeiten der Unsicherheit ökonomisch für Investoren ein nicht unwesentliches Problem darstellen, wohl auch nicht. Interessant ist aber vor allem die Argumentation bei der Abwägung der unterschiedlichen Interessen (es geht also um Optimierung!).

Zentrale Argumente gegen den Bau einer neuen Piste wurden im Bereich des Klimaschutzes und des Bodenverbrauches gefunden, aber auch Fragen der fiskalischen Effekte wurden in durchaus bemerkenswert unsachlicher Weise gewürdigt. Das Beispiel Flughafen Wien zeigt deutlich, was auch auf EU-Ebene bei vielen aktuellen Themen kritisch ist und sogar bei den neuen protektionistischen Ansätzen von Donald Trump Gültigkeit besitzt: wer über den eigenen Tellerrand nicht hinausblickt, mag zwar kurzfristig lokal seinen Nutzen optimieren, langfristig unter Berücksichtigung der Rückkopplungseffekte trifft er jedoch eine vollkommen kontraproduktive Entscheidung und schadet sich damit am Ende selbst.

Tellerränder im Detail: Ausgangslage

Grob gesprochen geht es bei dem Zankapfel Flughafen um eine Abwägung, ob und welche öffentlichen Interessen dadurch gefördert oder gehemmt werden. Vor allem ökonomische und ökologische Aspekte sind dabei von zentraler Bedeutung.

Im Rahmen des Erkenntnisses wird an der Verbesserung des Standortes durch einen Ausbau der Kapazitäten kein Zweifel gehegt, ebenso kommt das Gericht auf Basis der Gutachten zu dem Schluss, dass in Bezug auf die Flugsicherheit deutlich positive Effekte zu erwarten sind:

„Für die Errichtung der dritten Piste sprechen die öffentlichen Interessen an einem zusätzlichen Bedarf an Flugverbindungen und die damit verbundene Standortverbesserung der Ostregion Österreichs sowie die bessere Versorgung mit Verkehrsinfrastruktur und die Schaffung von zusätzlichen Arbeitsplätzen.“

„Auch in Bezug auf die Flugsicherheit wäre die dritte Piste ein Gewinn, wobei jedoch die Instanzen zur Einhaltung der Flugsicherheit immer der Sicherheit den Vorrang einzuräumen haben.“

Positive Standorteffekte, aber fiskalisch nicht relevant?

Doch schon die unmittelbar folgende Aussage regt den Ökonomen zu Widerspruch:

„Keine besonderen öffentlichen Interessen an der Errichtung der dritten Piste bestehen aus steuer- und abgabenrechtlicher Sicht.“

Das ist eine interessante Wertung: Geht man nämlich von projektierten Investitionskosten in einer Größenordnung von rund € 1,5 Milliarden aus, so bewegt sich allein die Umsatzsteuer für die Errichtung in der Größenordnung von etwa € 250 Millionen. Unter der Annahme, dass österreichische Unternehmen hier tätig sind und im Rahmen ihrer Geschäftstätigkeit dadurch auch Gewinne erzielen, sollten auch zumindest hohe zweistellige Millionenbeträge an Gewinnsteuern anfallen. Auch die ohne genaue Detailrechnungen kaum seriös zu quantifizierenden lohnabhängigen Abgaben für die im Zuge des Ausbaus beschäftigten Personen müssten die Hundertmillionengrenze deutlich übersteigen.

Nach unterschiedlichen Studien (z.B. WIFO) gehen vom Flughafen nennenswerte jährliche ökonomische Effekte aus: eine Bruttowertschöpfung von etwa € 5 Milliarden im weiteren Sinne, damit zusammenhängende Arbeitsplätze von etwa 73.000 Personen sowie steuerliche Rückflüsse im Ausmaß von etwa € 1,1 Milliarden sowie Sozialversicherungsbeiträge von noch einmal etwa € 1 Milliarde.

Geht man nun davon aus, dass der Flughafen mit rund 290.000 Flugbewegungen seine Kapazitätsgrenze in den nächsten Jahren erreichen wird (die Verkehrsprognosen rechnen im Jahr 2020 mit einer Nachfrage nach rund 325.000 Bewegungen und im Jahr 2025 bereits mit etwa 365.000 Bewegungen), dann kann z.B. für das Jahr 2025 ein Entgang von 1,25 Mrd. EUR an Wertschöpfung sowie gut 500 Mio. EUR an Steuern und SV-Beiträgen geschätzt werden.

Auch die Besteuerung von Treibstoffen bzw. sonstige Gebühren im Zusammenhang mit der Luftfahrt wären für einen fiskalischen Effekt ebenfalls relevant.

Endet Umweltschutz an der Staatsgrenze (ist der globale Klimawandel ein Fall für lokale Optimierung?)

In Bezug auf den Klimaschutz und die Treibhausgase zeigt sich die Problematik der lokalen Optimierung: von kritischer Relevanz ist nämlich, ob die Existenz höherer Kapazitäten am Flughafen Wien dazu führt, dass die nachgefragten Flugbewegungen gar nicht stattfinden oder in Richtung anderer Flughäfen verlagert werden. Im Übrigen ist auch die Zurechnung der Emissionen für alle in Österreich stattfindenden Starts selbstverständlich inhaltlich falsch und ökonomisch irreführend. Tritt beispielsweise das durchaus realistische Szenario ein, dass viele der Flugbewegungen statt über Wien ohne dritte Piste über Bratislava abgewickelt werden, dann wird klar ersichtlich, dass die Gesamtemissionen aufgrund weiterer zusätzlicher Sekundärtransporte zwischen Bratislava und Wien wohl insgesamt ansteigen werden.

„In der österreichischen Bundesverfassung sowie der Niederösterreichischen Landesverfassung wird dem Umweltschutz – und hier dem Klimaschutz im Besonderen – ein besonderer Vorrang eingeräumt. Auch das Unionsrecht zielt mit Art. 37 GRC auf ein hohes Umweltschutzniveau ab. Da durch den Klimawandel mit schweren gesundheitlichen Schäden samt einer Zunahme von hitzebedingten Todesfällen sowie mit schweren Beeinträchtigungen der österreichischen Wirtschaft und Landwirtschaft zu rechnen ist, und es durch das Vorhaben zu einem markanten Anstieg an THG-Emissionen kommen wird, muss das öffentliche Interesse an der Verwirklichung des Vorhabens hinter das öffentliche Interesse am Schutz vor den negativen Folgen des Klimawandels und der Bodeninanspruchnahme zurücktreten.“

Im Sinne einer lokalen Optimierung würden also die (einem durchaus als seltsam zu bezeichnenden Zuordnungssystem gemäß) Österreich zuzurechnenden Emissionen sinken, wenn es keine weiteren Flugbewegungen gäbe. Die flugverkehrstechnische sowie ökologische Frage, ob nicht ein Großteil der Anflüge auf Bratislava unmittelbar auch im österreichischen Luftraum zu Emissionen führen würde, wurde gar nicht weiter vertieft. Entscheidend ist, dass durch Kapazitätsmängel am Flughafen Wien die gesamte Transportleistung und damit der Ausstoß an Treibhausgasen global gesehen definitiv höher liegen würde, als bei Verfügbarkeit der kürzeren Transportrouten.

„Insgesamt überwiegt das öffentliche Interesse, dass es in Österreich zu keinem weiteren markanten Anstieg an THG-Emissionen durch Errichtung und Betrieb der dritten Piste kommt und Österreich seine national und international eingegangenen Verpflichtungen zur Reduktion der THG-Emissionen einhält gegenüber den verschiedensten öffentlichen Interessen, die für die Errichtung des Vorhabens sprechen.“

Optimiert also jedes Land für sich selbst die Treibhausgasemissionen, so ist es also sogar wahrscheinlich, dass die negativen Folgen des Klimawandels auch für das optimierende Land größer sein werden, als wenn insgesamt auf globaler Ebene (oder in unserem Fall zumindest auf europäischer Ebene bzw. im Donauraum) optimiert würde. Wohlgemeinte Klimaschutzmaßnahmen können in diesem Sinne also kontraproduktiv wirksam werden. Deshalb hat man auch den Klimaschutz im Flugverkehr europaweit geregelt und seit 2012 CO2 neutral gestellt , was dem Gericht aber entgangen sein dürfte. Somit sind vor diesem Hintergrund österreichische “Sonderwege” ökonomisch bedenklich, ohne damit letztlich der Umwelt zu nützen.

Die Bewertung knapper Ressourcen – der lokale Bodenverbrauch

Eine weitere interessante Facette ergibt sich aus der im Kern ökonomischen Frage, wie mit knappen Ressourcen umzugehen ist. Auch hier handelt es sich um Optimierungsentscheidungen auf gesamtgesellschaftlicher Ebene. Im Zusammenhang mit dem Flughafen wurde festgestellt, dass der Entgang an Wohlstand, der durch den Verbrauch von Ackerland entsteht (rund 660ha) schwerer wiegt als die Produktivleistung, die von einem Flughafen ausgeht:

„Auch ist die Erhaltung wertvollen Ackerlands für zukünftige Generationen zur Nahrungsmittelversorgung dringend geboten. Das öffentliche Interesse an der Errichtung der dritten Piste ist somit überwiegend nicht gegeben. Der Antrag der mitbeteiligten Parteien ist daher insgesamt abzuweisen.“

Man könnte nun lange darüber diskutieren, ob Ackerland in unmittelbarer Nähe des Flughafens in Hinblick auf die dort angebauten Nahrungsmittel besonders attraktiv ist und daher tatsächlich prioritär für aktive Landwirtschaft genutzt wird. Auch der Hinweis auf die Existenz von Stilllegungsprämien für landwirtschaftliche Flächen in der EU ließe sich an dieser Stelle wohl nicht in der nötigen Kürze erörtern (2015 wurden in Österreich für etwa 49.000 ha Flächenstilllegungsprämien bezahlt!). Ganz zu schweigen von der Frage, ob nicht auch Transportwege für Import oder Export von Nahrungsmitteln in Zukunft ebenfalls sehr relevant sein könnten.

Aus der Optimierungstheorie und auch der grundlegenden Volkswirtschaftstheorie ist jedoch bekannt, dass Ressourcen nur dann Kosten verursachen, wenn sie knapp sind. Unterstellt man nun tatsächlich eine zu erwartende Knappheit dieser landwirtschaftlichen Flächen (die in Relation zu den Gesamtflächen in Österreich vernachlässigbar sind), dann könnte diese ökonomisch anhand der Wertschöpfungen je Flächeneinheit oder auch auf Basis der Marktwerte dieser Flächen abgeschätzt werden.

Auf Basis der Verkehrsprognosen könnte man sich dieser Frage daher über die Abschätzung des sogenannten „Schattenpreises“ annähern. Die Idee ist dabei, den Engpassfaktor mit dem entgangenen ökonomischen Nutzen zu bewerten.

Geht man also für das Jahr 2025 von einer entgangenen Wertschöpfung von rund € 1,25 Milliarden aufgrund des Nichtvorhandenseins der nachgefragten Kapazitäten aus und setzt diese in Relation zu den etwa 660ha Bodenverbrauch, so ergibt sich eine jährliche Wertschöpfung einer Flächeneinheit für den Flugverkehr (auf Basis 2025) von rund 1,9 Mio. EUR/ha. Wäre die dritte Piste langfristig vollkommen ausgelastet, dann wären diese Effekte dann sogar rund doppelt so groß: maximal also etwa 3,8 Mio. EUR/ha.

Für 2013 belief sich die landwirtschaftlich genutzte Fläche in Österreich (der Einfachheit halber soll die ungenutzte Fläche vernachlässigt werden) laut Statistik Austria auf 2.728.558 ha. Für 2016 betrug der gesamte Bruttoproduktionswert (also inklusive Vorleistungen) in der österreichischen Landwirtschaft (gemäß der landwirtschaftlichen Gesamtrechnung von Statistik Austria) 6,83 Mrd. EUR. Der durchschnittliche Produktionswert belief sich daher auf rund 2.500 EUR/ha.

Der Wertschöpfungseffekt je Flächeneinheit liegt also bei einer Flughafenpiste in etwa 760-mal so hoch wie bei (genutzter!) landwirtschaftlicher Fläche. Auch wenn man hier noch analog zu den Wertschöpfungseffekten beim Flughafen sekundäre Effekte (Kaufkrafteffekte) für die landwirtschaftliche Nutzung hinzurechnet, so ergeben sich Größenordnungen weit jenseits von 1:300-1:400.

Die Schattenseiten der lokalen Optimierung

Selbstverständlich handelt es sich bei all diesen Zahlen um grobe Abschätzungen der Größenordnungen. Genauere Analysen könnten viel zuverlässigeres Zahlenmaterial liefern. Die Grundaussage würde sich aber nicht ändern: sowohl in Hinblick auf die Wertschöpfungseffekte als auch unter dem Aspekt der Treibhausgasemissionen.

Lokale Optimierung ohne Blick über den Tellerrand führt also zu fehlerhaften Einschätzungen von Effekten und damit zu suboptimalen Entscheidungen – in der Theorie und, wie man sieht, auch in der Praxis.

Bankomatgebühr in Österreich?

Bankomatgebühren als Aufreger ohne Handlungsbedarf

Kaum ein Thema war in Hinblick auf Banken und Finanzmarkt so ein Aufreger wie die Frage, ob in Österreich demnächst vielleicht Bankomatgebühren von den Banken – zumindest für die Behebung bei fremden Bankomaten – eingeführt werden könnten. Dabei ist es in der Realität wohl weniger bedeutend, als uns allen das derzeit erscheint.

Hier ein paar Argumente dafür und dagegen:

Argumente für eine Bankomatgebühr

  • Es handelt sich bei Bankomatbehebungen um eine Dienstleistung der jeweiligen Bank, in vielen Fällen auch von Drittanbietern. Diese verursacht Kosten beim Betreiber des Geldautomaten, die aber derzeit nicht (direkt) den Kunden, die die Kosten verursachen, weiterverrechnet werden.
  • Eine nutzungsabhängige Gebühr ist daher aus volkswirtschaftlicher Sicht durchaus argumentierbar, da sie Kosten dem Verursacher zurechnet und somit dessen Verhalten beeinflusst bzw. eine Quersubventionierung durch andere Kunden vermeidet. In diesem Fall würde das wohl den Effekt haben, dass seltener, dafür aber höhere Beträge abgehoben werden. Die gesamten Kosten des (“halbbaren”) Geldverkehrs würden dadurch in Summe reduziert.
  • Die Bankomatbehebungskosten sind wohl auch derzeit schon in die Kontoführungsgebühren eingerechnet bzw. könnten im Rahmen von unterschiedlichen “Paketen” inkludiert werden. Der Wettbewerbsdruck würde auch hier dafür sorgen, dass die Kunden (um die und deren Primäreinlagen auf Girokonten und Sparkonten sich Banken derzeit “reißen”) wohl im Schnitt nicht wirklich mit höheren Gebühren zu rechnen hätten, da Banken attraktive Pakete schnüren müssten, um gerade bei diesem Aufreger-Thema ihre Kunden zu halten.
  • Ein (derzeit politisch diskutiertes) punktuelles Verbot für eine einzelne Dienstleistungskomponente wäre po(pu)li(s)tisch zwar sehr positiv besetzt, aber einerseits im internationalen Kontext problematisch und auch kaum zeitgemäß, darüber hinaus jedenfalls faktisch für die Konsumenten unwirksam, da Banken auch andere Gebührenelemente statt dessen anheben könnten (wenn es der Wettbewerb überhaupt zulässt).

Argumente gegen eine Bankomatgebühr

  • Durch die Diskussion werden Ängste bei den Menschen geschürt und verstärkt, dass es zu einem Zurückdrängen des Bargeldes, bis hin zur Abschaffung, kommen könnte.
  • Da die Gebühren je Transaktion (und nicht bezogen auf den behobenen Betrag) verrechnet werden müssten, um verursachungsgerecht zu sein, würden Kunden seltener, dafür größere Beträge abheben, wodurch auch Sicherheitsrisken etc. entstehen könnten.
  • Rückläufige Behebungen würden letztlich dazu führen, dass es langfristig zu einer Reduktion der Versorgungsdichte mit Geldautomaten kommt.
  • Die Banken würden weniger durch die Gebühren einnehmen als geplant, da ja die Anzahl der Transaktionen zurückgehen würde. Auch der Wettbewerbsdruck (s.o.) würde faktisch die Mehrerträge bei anderen Kontoführungsentgelten wieder kompensieren.
  • Im Bereich “Mobilfunk” hat die Realität gezeigt, dass die Kunden lieber Tarife in Form von Paketen haben – und nicht einzeln verrechnete Teilleistungen. Aufgrund der Emotionalität des Themas hätten Banken, die keine variable Gebühr verlangen, deutliche Wettbewerbsvorteile.

Fazit

Da ökonomisch etliche Argumente gegen, aber auch einige für derartige Gebühren sprechen, ist es wohl am sinnvollsten, den Banken und dem Markt selbst die Entscheidung über die jeweils angebotenen Tarifmodelle zu überlassen. Gerade bei derart emotionalen Themen ist der Wettbewerbsdruck in der Regel ohnehin recht hoch. Es bleibt auch abzuwarten, ob Banken tatsächlich an diesem Reizthema derzeit rütteln wollen – wer zuerst eine Gebühr einführt wird wahrscheinlich von den Kunden in besonderem Ausmaß bestraft. Außerdem geht es, wenn überhaupt, um die Frage der gesamten Höhe der Kontoführungsentgelte inkl. Karten, Buchungen und Behebungen – und nicht nur um ein einzelnes Element der Konditionen.

Bargeld und Banken erhalten derzeit besonders viel Aufmerksamkeit – oder würde irgend jemand im Rahmen einer Preisregelung fordern, dass bei Mobilfunktarifen z.B. Gebühren für SMS generell nicht mehr nutzungsabhängig verrechnet werden dürfen und alle Anbieter nur noch Pakete mit z.B. unbegrenzten SMS, aber bei vollkommen freier Gestaltung der Preise für die den Grundtarif, die Gesprächsminuten und das Datenvolumen anbieten müssen? Vielleicht wären diese Tarife dann für Nicht-SMSer sogar unattraktiv teuer, weil sie im Paket etwas bezahlen müssen, das sie gar nicht nützen? Bankomatgebühren sollen aber vielleicht sogar gesetzlich verhindert werden, während die Banken bei den Zinssätzen, Kontoführungsbasisgebühren, den Buchungskostenbeiträgen, den Kartengebühren etc. weiterhin freie Preisgestaltungsmöglichkeiten haben (müssen, um Wettbewerb möglich zu machen)? Falls es Bedenken gibt, dass der Wettbewerb nicht ausreichend funktioniert, dann ist ein weiterer Staatseingriff in Form einer punktuellen Preisregelung wohl keine sinnvolle Option – der Konsumentenschutz könnte in diesem Fall eher bei der Transparenz und Vergleichbarkeit der Gebührenmodelle ansetzen (Preisrechner etc., wie im Bereich Strom, Telefon,…).

Bankomatgebühren sind also wohl ein Aufreger ohne großen aktuellen Handlungsbedarf, aber mit vermeintlich hohem politischem Profilierungspotenzial…

Nachhaltigkeit der Pensionen in Österreich

Reizthema “Pensionen”?

Kaum ein Thema ist so kontroversiell wie das Thema “Pensionen” – geht es doch um Zukunftssicherung für Menschen, die nach einem Erwerbsleben in einen sozial angemessen abgesicherten Ruhestand treten wollen.  Eine gute Zukunftssicherung ist eine, auf die man sich verlassen kann. Somit sind Ängste vor Pensionskürzungen selbstverständlich ernst zu nehmen, ebenso Sorgen der jungen Generation, ob auch sie in den Genuss gesicherter Pensionen im Alter kommen wird.

Der Wunsch nach einer heilen (Pensions-)Welt ist nur allzu verständlich – allerdings haben Analysen verschiedener nationaler und internationaler Institutionen (EU-Kommission, OECD, Rechnungshof,…) aufgezeigt, dass die Nachhaltigkeit des Pensionssystems in Österreich leider keinesfalls als sicher anzunehmen ist und auch im internationalen Vergleich eher schlecht abschneidet.

Es geht also in erster Linie darum, eine realistische Analyse der Situation zur Grundlage der politischen Diskussion zu machen und möglichst viele Handlungsalternativen aufzuzeigen, welche Nachhaltigkeitsmechanismen im österreichischen Pensionssystem gestärkt oder auch implementiert werden können, um die Stabilität der Pensionen – und damit die Sicherheit der derzeit arbeitenden Menschen sowie künftiger Generationen – zu erhöhen.

Diese Zielsetzung verfolgte übrigens auch die im Finanzministerium (BMF) angesiedelte (ehrenamtliche) Arbeitsgruppe, deren vorläufige Ergebnisse kürzlich medial heftig diskutiert wurden (obwohl die Endfassung der Ergebnisse noch gar nicht vorliegt): eine Analyse der Ist-Situation und das Aufzeigen möglicher Stellschrauben. Also eine Art Speisekarte für die Politik, um innerhalb der Regierung und auch darüber hinaus eine offene Diskussion führen zu können. Es ging nicht um ein politisches “Pensionsreformkonzept”, auch nicht darum, neue Dinge zu (er)finden, sondern um eine Diskussionsbasis auf Grundlage bestehender Analysen und Maßnahmen aus dem internationalen Kontext. Es ist ja jedenfalls Aufgabe der Politik, zu entscheiden, welche der Stellschrauben (vorzugsweise in einem Mix aus Maßnahmen aus internationalen Beispielen) dann tatsächlich gedreht werden sollen. Eine Entscheidung und Wertung der Maßnahmen steht selbstverständlich jeder Person frei – kann aber nicht von einer “Expertengruppe” geleistet werden, sondern muss einem politischen Diskurs unterworfen werden.

Nachhaltigkeit

Vorab: unser Pensionssystem ist derzeit nicht nachhaltig genug in dem Sinne, dass es ohne wiederholte äußere Korrekturmaßnahmen finanziell langfristig nicht stabil sein wird. Die Faktoren sind bekannt: die demografische Entwicklung, längere Ausbildungszeiten, kürzere Zeit im Erwerbsleben, sowie permanent steigende Lebenserwartung.

Vor 40 Jahren etwa haben Menschen im Schnitt 45 Jahre im Erwerbsleben zugebracht und 25 Jahre ohne Erwerbseinkommen, davon 17 Jahre in Ausbildung und acht Jahre in Pension. Heute hat sich diese Relation umgekehrt: im Schnitt kommen wir nur noch auf 38 Erwerbsjahre, mit denen 43 Jahre ohne Erwerbstätigkeit finanziert werden müssen, davon 22 Jahre mit Bezug einer Pension.

Aus all diesen Gründen steigen die Fehlbeträge im Pensionssystem (Differenzen zwischen Einzahlungen und Auszahlungen – der ominöse “Bundesbeitrag”) permanent an. Das bedeutet auch, dass die erwerbstätigen Personen einen immer größeren Teil ihres Einkommens über das Steuersystem für die Finanzierung des Pensionssystems aufwenden müssen – aber nicht für ihre eigenen zukünftigen Pensionsansprüche, sondern rein zur Bezahlung heutiger Pensionen. Das Grundproblem ist also eine Verteilungsfrage zwischen den Generationen in Verbindung mit der Tatsache, dass wir alle in Österreich im Schnitt mehr aus dem Pensionssystem erhalten als wir dazu beitragen. Aus naheliegenden Gründen ist das langfristig eben leider nicht nachhaltig und kann daher auch nicht funktionieren…

Prinzipiell stehen nun aus rein logischen Überlegungen (ohne Unterstellung, dass alle diese Maßnahmen dann im Detail wünschenswert und/oder gesellschaftspolitisch sinnvoll wären!) verschiedene Stellschrauben zur Verfügung:

  • Erhöhung der Einnahmen des Pensionssystems
    (z.B. höhere Beiträge, Verbreiterung der Bemessungsgrundlagen, längere Zeit im Erwerbsleben)
  • Senkung der Ausgaben des Pensionssystems
    (z.B. geringer Auszahlungshöhe bzw. “Nettoersatzquote”, kürzere Zeit in Pension durch späteren Pensionsantritt, geringere Pensionsanpassungen)

Im Detail sind daher viele Maßnahmen denkbar, die aber alle in die eine oder andere Richtung abzielen. Im internationalen Vergleich wird auch unterschiedlich damit umgegangen: Dänemark beispielsweise setzt massiv auf eine Anhebung des Pensionsantrittsalters, sodass dort möglicherweise in einigen Jahrzehnten Menschen erst mit 75 Jahren in Pension gehen werden (eine Perspektive, die ich persönlich in dieser rigorosen Form als nicht optimal erachte, weil die gesunden Lebensjahre nicht im gleichen Ausmaß steigen wie die Lebenserwartung insgesamt). Schweden wiederum setzt eher auf eine Ergänzung der ersten Säule im Pensionssystem durch die zweite Säule (teilweise verpflichtend!) sowie auf eine geringere Nettoersatzrate.

Leider bedeuten all diese Maßnahmen, dass es weniger Auszahlungen im Verhältnis zu den Einzahlungen geben wird, gemessen am (eben nicht nachhaltigen!) Status quo. Das “Menü” an Handlungsalternativen ist eben eines, das Ausgaben und Einnahmen langfristig ins Gleichgewicht bringen soll… Aber das Problem wird nicht dadurch entschärft, dass man einfach zuwartet.

Pensionen, Planbarkeit und “Automatismen”

Oft wird auch darüber gestritten, ob es im Pensionssystem Automatismen geben soll oder nicht. Ein effizientes Pensionssystem ist jedenfalls für die Menschen planbar. Planbar wird ein System aber nur dann, wenn es klare Spielregeln gibt, die nicht alle paar Jahre wieder geändert werden. In diesem Sinne kann zum Beispiel das schwedische Pensionssystem als Vorbild dienen: die Auszahlungsleistungen ergeben sich im Prinzip aus den geleisteten Einzahlungen sowie der durchschnittlichen Zeit des Pensionsbezugs. Das Pensionsantrittsalters selbst ist in diesem System innerhalb gewisser Grenzen sogar frei wählbar, für Bezieher niedriger Pensionen gibt es selbstverständlich einen sozialen Ausgleich.

Das Thema Nachhaltigkeit im Pensionssystem sollte daher auch nicht mit Fragen der Verteilung und der sozialen Ausrichtung des Systems vermischt werden. Auch und besonders sogar in einem transparenten und nachhaltigen Pensionssystem, das langfristig im Gleichgewicht ist, können und müssen soziale Aspekte – noch dazu in einem wohlhabenden Land wie Österreich – berücksichtigt werden.

Auch wäre es ein fataler Trugschluss, alle notwendigen Maßnahmen zur Stabilisierung des Pensionssystems von heute auf morgen gleich umsetzen zu wollen. Da ein Pensionssystem eben auf Planbarkeit beruht, muss es darum gehen, rasch ein nachhaltiges und stabiles System zu entwerfen und auch mit Zeitangaben versehen zu beschließen, dann aber mit großzügigen Übergangsfristen auch den Vertrauensschutz von Menschen, die bereits in Pension sind oder knapp vor dem Pensionsantritt stehen, ernst zu nehmen und zu gewährleisten.

Zankapfel Frauenpensionsantrittsalter

Eine besondere Detailfrage des Pensionssystems betrifft auch das Pensionsantrittsalter von Frauen im Vergleich zu jenem von Männern. Es drängen sich kaum griffige Argumente dafür auf, dass bei längerer Lebenserwartung und damit längerer Pensionsbezugsdauer auch noch das Pensionsantrittsalter von Frauen prinzipiell niedriger als jenes von Männern liegen müsste.

Auf der anderen Seite ist es richtig, dass Frauen immer noch für gleiche Arbeit vielfach geringere Einkünfte als Männer beziehen (das wirkt sich auf die Pensionshöhe aus!) und in der derzeitigen Situation darüber hinaus vielfach auch durch Kindererziehungszeiten stärker von Armut in der Pension bedroht sind. Es ist aber nicht Aufgabe des Pensionssystems, über in ihrer Auswirkung auf die Pensionshöhe äußerst zweifelhafte Ungleichbehandlungen wie einen früheren Pensionsantritt hier Abhilfe zu schaffen – das können derartige Regelungen auch gar nicht leisten.

Vielmehr müsste man hier an der Wurzel des eigentlichen Problems ansetzen und den Gender Gap über geeignete Maßnahmen schließen oder zumindest möglichst reduzieren sowie beispielsweise für Kindererziehungszeiten (dann sowohl bei betroffenen Männern als auch Frauen!) transparente Beitragsgutschriften auf das Pensionsskonto vornehmen. Auch “Splitting-Modelle” sind durchaus diskussionswürdig, bei denen im Rahmen von Partnerschaften und/oder gemeinsamer Kindererziehung die Pensionsbeiträge gleichermaßen den Partnern auf ihren jeweiligen Pensionskonten gutgeschrieben werden. Und selbstverständlich gilt auch hier, dass es sinnvolle Übergangsfristen und Einschleifregelungen geben muss.

Vorläufiges Fazit

Die Herausforderungen an des Pensionssystems sind leider erheblich, die Nachhaltigkeit langfristig keinesfalls derzeit gesichert. Maßnahmen, die in Form von Stabilitätsmechanismen oder Nachhaltigkeitsmechanismen das Pensionssystem finanziell stabiler und unabhängiger von der Entwicklung exogener Faktoren machen, gibt es im internationalen Vergleich bereits in verschiedensten Ausprägungen. Die Diskussion in Österreich, die sich vorwiegend um das Pensionsantrittsalter dreht, greift hier deutlich zu kurz. Grundlegende strukturelle Maßnahmen sind dringend erforderlich. Und hier wäre eine offene öffentliche Diskussion ohne Tabus sehr wünschenswert, weil wir als Gesellschaft letztlich selbst entscheiden wollen und auch müssen, an welchen dieser Schrauben wir letztlich drehen wollen. Dass wir aber an Schrauben drehen müssen, wenn auch künftige Pensionen gesichert sein sollen, das sollte in einer politischen Diskussion nicht die Frage sein. Denn nur ein gesichertes Pensionssystem kann den Menschen auch die Sicherheit im Alter geben, die sie zu recht in einem Land wie Österreich erwarten.

Haftet der Bund für die Länder?

Bundeshaftung für Länder?

Die Diskussion über Bundeshaftungen für Länder ist wieder aufgeflammt, seit bekanntgeworden ist, dass der Bund vor Jahren den entsprechenden Landesgesetzen, durch welche die Hypo-Haftungen noch weiter ausgedehnt werden konnten, sogar aktiv noch vor Ende der Frist zugestimmt hat.

Selbstverständlich wird dadurch deutlich, dass diese (inzwischen bereits so nicht mehr aktuelle) Kontrolle der Landesgesetzgebung durch den Bund weder effizient noch sinnvoll umgesetzt wurde. Der Bund hätte auch nur den Gesetzesbeschluss aufschieben können, also letztlich kein taugliches Mittel gehabt, um es zu verhindern. Auch konnte aus dem Gesetzesentwurf zu den (damals nicht nur in Österreich, sondern auch in anderen Ländern wie z.B. Deutschland) leider durchaus nicht unüblichen Haftungsermächtigungen wohl kaum auf die Höhe der danach tatsächlich eingegangen Haftungen geschlossen werden.

Auf der anderen Seite haben schon Jahre zuvor einige (wenige) Akteure in Kärnten (z.B. der damalige Wirtschaftskammerpräsident Pacher) oder im Rest Österreichs (z.B. beim gegenständlichen Gesetz die FMA) entsprechende Bedenken in Bezug auf die Haftungsvolumina geäußert.

Fakt ist also, dass das Haftungsthema nicht unbekannt war, aber weder auf Landesebene noch auf Bundesebene geeignete Maßnahmen einer Gegensteuerung stattgefunden haben.

Freibrief für das Land Kärnten?

Inhaltlich stellt sich die Frage, ob man selbst etwas versprechen und im Nachhinein dann argumentieren kann, weil irgendjemand anderer es nicht verhindert hat, wäre derjenige schuld und müsste die Haftungen übernehmen. Das ist eine Argumentationslinie, die sich sicher nicht halten lässt. Noch weniger lässt sich daraus ableiten, dass die Haftungen des Landes Kärnten gar ungültig wären. Das Gesetz ist gültig zustande gekommen, und jeder Gläubiger konnte darauf mit Fug und Recht vertrauen, dass Haftungen eines Bundeslandes auch im Ernstfall halten. Für Kärnten ergibt sich dadurch jedenfalls kein Freibrief.

Keine Haftung für den Bund?

Rechtlich haftet der Bund nicht für ein einzelnes Bundesland. Somit könnte der Bund sich theoretisch zurücklehnen. In der Realität ist es aber aus verschiedenen Gründen anders, insbesondere:

  • Die Pleite eines österreichischen Bundeslandes wäre aus ökonomischen, sozialen und politischen Gründen mehr als problematisch.
  • Das Vertrauen in die Bonität nicht nur Kärntens, sondern auch aller anderen Bundesländer wäre mit einem Schlag zerstört, sodass sich für Jahre die Bundesländer nicht mehr selbst auf dem Finanzmarkt finanzieren könnten. Dann müsste erst recht der Bund im großen Stil einspringen – so wie derzeit schon für Kärnten.
  • Der Wirtschaftsstandort würde massiv leiden, wenn das Vertrauen in stabile öffentliche Rahmenbedingungen nicht mehr gegeben wäre. Arbeitslosigkeit und Konjunktureinbruch wären mögliche Folgen.
  • Auch die Bonität des Gesamtstaates und damit des Bundes wäre geschädigt. Ein Downgrading des öffentlichen Sektors würde auch auf Landesgesellschaften und private Unternehmen durchschlagen und deren Finanzierung erschweren und/oder verteuern.
  • Der Bund haftet formal nicht für die Länder, aber er hat über die Bundesfinanzierungsagentur (ÖBFA) selbst Schulden aufgenommen und diese Geldmittel an die Länder weitergereicht – siehe unten.

Bund haftet zwar nicht, sondern ist selbst Schuldner bei Landesschulden

Die Länder haben im Jahr 2014 gut 9 Mrd. EUR Finanzierungen über die ÖBFA aufgenommen. Das heißt, dass sich der Bund das Geld am Markt ausgeborgt und an die Länder weiterverborgt hat. Das ist analog zur Pfandbriefstelle – auch dort hatte die Pfandbriefstelle Kredite aufgenommen und an die Hypo weitergereicht; durch das Moratorium bekam die Pfandbriefstelle ihre Forderung von der Hypo (=HETA) nicht ausbezahlt, musste aber trotzdem den Gläubigern Rückzahlungen leisten.

Würde also ein Bundesland aufgrund einer Pleite der ÖBFA die Finanzierungen nicht zurückzahlen können, dann müsste der Bund trotzdem an die Gläubiger zahlen – und würde auf dem Schaden sitzenbleiben.

Und dieser Schaden wäre nicht gerade unerheblich. Schon jetzt (Stand 2014) haben die Bundesländer mehr als 9 Mrd. EUR Schulden bei der ÖBFA, Kärnten etwa 1,4 Mrd. EUR (exkl. der aktuellen Ausleihungen im Jahr 2015). Insgesamt haben die Länder und Gemeinden Finanzschulden von etwa 25-28 Mrd. EUR (je nach Einbeziehung bestimmter ausgegliederter Rechtsträger). Kärnten hat Finanzschulden (inkl. ausgegliederte Rechtsträger) von etwa 3,2 Mrd. EUR.

Damit wird klar, dass etwa ein Drittel (!) der Schulden der Ländern letztlich Schulden sind, für die der Bund nicht haftet, aber direkter “Kreditnehmer” aufgetreten ist – und das ist letztlich schwerwiegender als eine Haftung!

Offene Diskussion erforderlich

Statt also die Verantwortung zwischen einzelnen Akteuren hin und her zu schieben, sollte klar sein, dass alle Gebietskörperschaften von der HETA betroffen sein werden. Das Land Kärnten kann seine primäre Verantwortung nicht abstreiten, der Bund muss seine faktische Betroffenheit (um das Wort “Haftung” zu vermeiden) akzeptieren. Ein großer Teil der Kärntner Landeshaftungen wird spätestens  2016 schlagend werden – es ist höchste Zeit, schon jetzt über die Finanzierung der entstehenden Milliardenlücke nachzudenken. Dabei wird der Bund wohl oder übel mit Liquidität aushelfen müssen, das Land Kärnten wird eine ernsthafte und nachhaltige Budgetkonsolidierung einleiten und permanent umsetzen müssen.

 

Griechenlands Pro-Kopf-BIP im Vergleich

Wurde Griechenland “kaputtgespart”?

Immer wieder geistert eine Zahl herum: Griechenland habe aufgrund der Sparpolitik mehr als 25% seiner Wirtschaftsleistung (BIP) eingebüßt. Und das könnte als Beweis dafür dienen, dass Sparen der falsche Weg gewesen wäre.

Unabhängig davon, dass “Sparen” nicht die korrekte Bezeichnung dafür ist, wenn die hohe Differenz zwischen Ausgaben und Einnahmen, also ein laufender Fehlbetrag im Staatshaushalt verringert wird und trotzdem per Saldo immer noch neue Schulden angehäuft werden – und unabhängig von der Notwendigkeit struktureller Reformen im Bereich der Verwaltung, des Rechtsrahmens (Grundbuch), des Steuersystems, des Pensionssystems und vieler anderer Bereiche, die erst einmal auf europäisches Niveau gebracht werden müssen, um die griechische Wirtschaft konkurrenzfähig zu machen: wie “arm” ist Griechenland tatsächlich?

Selbstverständlich ist jeder einzelne arbeitslose oder von Armut gefährdete Mensch einer zu viel – ökonomisch und gesellschaftspolitisch. Die Betrachtung von Durchschnittszahlen ist auch immer nur eine statistische Kenngröße. Trotzdem ist sie aber ein guter Indikator für die Gesamtsituation – und Fragen der Verteilung innerhalb eines Landes liegen selbstverständlich im Verantwortungsbereich der nationalen Regierung. Ein Problem, das im griechischen Steuer- und Transfersystem sicher in den letzten Jahren konsequenter in Angriff genommen hätte werden sollen.

Reales BIP pro Kopf als Indikator

Auf Basis der offiziellen Eurostat-Daten kann man die Entwicklung des Wohlstandes der Bevölkerung unterschiedlicher Länder näherungsweise anhand des realen BIP pro Kopf abschätzen. Berechnet man einen Indikator und setzt ihn im Jahr der Euro-Einführung (1999) auf 100, so kann man die Entwicklung der Kaufkraft der Einkommen gut vergleichen.

Dabei zeigen sich teilweise recht interessante Ergebnisse:

  • Zwischen 1999 und 2007 (also vor der Wirtschaftskrise) ist das griechische Einkommen um 33,9% gestiegen. Im selben Zeitraum jenes in Österreich um nur 16,3% und in Deutschland um 13,3%.
  • Der Absturz des griechischen BIP im Zuge der Wirtschaftskrise und des Zusammenbruchs der griechischen Staatsfinanzen aufgrund der erheblich angehäuften Staatsschulden hat den Wohlstand im Jahr 2013 wieder genau auf das Niveau von 1999 gedrückt. Das Wachstum der Jahre davor war großteils schuldenfinanziert gewesen.
  • Aktuell (2014) liegt das reale BIP je Einwohner in Griechenland trotz der dramatischen Schuldenkrise und der erforderlichen Konsolidierungsmaßnahmen, dem Ende der Kapitalmarktfähigkeit des Staates, einem Schuldenschnitt von mehr als 100 Mrd. EUR vor 3 Jahren und der schweren Vertrauenskrise im Vergleich zu 1999 immer noch um 1,2% höher. Griechenland war also eigentlich bereits auf dem Weg der Besserung.
  • Italien liegt im Vergleich dazu aktuell (Daten für 2014 verfügbar) bei nur 95,8% des Wohlstandes von 1999 (ein Verlust von 4,2%).
  • Bulgarien kann hingegen einen Zuwachs von 92,9% (!) auf 192,9% aufweisen, bei einem gleichzeitigen Schuldenabbau (von 44% des BIP auf 28% zwischen 2003 und 2014).
  • Der Zuwachs an Wohlstand betrug in Deutschland 1999 bis 2014 etwa 18,6%, in Österreich rund 17,3%.

 

 

Griechenland-Referendum: Wie geht es weiter?

Referendum: Sieg der Demokratie?

Das Referendum zum Sparkurs in Griechenland dürfte nun ersten Meldungen zufolge mit einem klaren NEIN ausgegangen sein. Vertreter der griechischen Regierung bezeichnen es schon jetzt als einen „Sieg der Demokratie“.

Dabei war dieses Referendum eher ein Sieg des Populismus und hat die ohnehin schwierige Situation nun dramatisch erschwert. Selbstverständlich steht es der griechischen Regierung und der griechischen Bevölkerung frei, die Bedingungen für eine Kreditvergabe durch die internationalen Geldgeber abzulehnen. Im Falle einer Ablehnung müsste die Konsequenz sein, auf internationale Hilfe gänzlich zu verzichten.

Die griechische Regierung hat aus dem Referendum allerdings eine Abstimmung über den Sparkurs und strukturelle Reformen an sich gemacht und will nun mit scheinbar gestärkten Rücken weiter verhandeln: erklärtes Ziel sind neue Finanzierungen (hier ist von etwa 30 Milliarden € für die nächsten Jahre die Rede) durch die internationalen Geldgeber, eine Stundung aller Zahlungen für die nächsten Jahre bzw. Jahrzehnte und ein Schuldenschnitt (hier wird eine Größenordnung von 50 % kolportiert) – das alles aber ohne strukturelle Reformen im Bereich des Steuersystems, des Pensionssystems sowie generell im Bereich der Verwaltung. Die in den letzten Jahren abgebauten Beamten sollen wieder aufgestockt werden, eine Anhebung der im internationalen Vergleich um etwa 8-10 Prozentpunkte geringeren Steuer- und Abgabenquote wird abgelehnt, obwohl die Effizienz des Steuersystems und auch die Steuergerechtigkeit in Bezug auf die Besteuerung höherer Einkommen in Griechenland durchaus fraglich sind und die Auszahlungen des Pensionssystems die Einzahlungen bei weitem übersteigen.

Das als vorbildlich demokratisch dargestellte Referendum soll also lediglich politischen Druck erzeugen, damit die Steuerzahlerrinnen und Steuerzahler der anderen europäischen Länder weitere Hilfspakete für Griechenland schnüren, ohne dass durch strukturelle Reformmaßnahmen zumindest auf die Chance hingearbeitet wird, dass diese ihr Geld auch wieder zurückbekommen.

Wie geht es weiter?

Viel bedeutender als das nun abgeschlossene Referendum ist aber die Frage, wie es nun für Griechenland weitergehen kann. Es bleibt nach wie vor sehr zweifelhaft, ob die griechischen Banken nach diesem Ergebnis nun wieder öffnen können. Viel wahrscheinlicher ist genau vom Gegenteil auszugehen, nämlich dass nun erst recht das Bargeld in Griechenland knapp werden wird. Auch an das Ende der Devisenverkehrskontrollen ist kaum zu denken, da der Abfluss ins Ausland wohl weiter erheblich wäre. Und die Illusion des griechischen Finanzministers, dass nämlich die EZB mit sich über eine Ausweitung der Notfallkredite (ELA) für griechische Banken verhandeln ließe, vernachlässigt hartnäckig, dass die EZB hier faktisch keinen Verhandlungsspielraum hat, da sie sich strikt an die ihr vorgegebenen Regeln zu halten hat, wenn sie nicht die gesamte Glaubwürdigkeit der Eurozone aufs Spiel setzen will. Außerdem wären Notfallkredite der Zentralbank in Milliardenhöhe nichts anderes als eine Finanzierung öffentlicher Defizite durch die Notenpresse, wodurch über den Umweg einer (allerdings aufgrund der derzeitigen niedrigen Preissteigerungen wohl kaum in der Öffentlichkeit beachteten) höheren Inflationsrate für alle anderen Mitglieder der Eurozone die Bevölkerung der anderen Mitgliedstaaten die Rechnung letztlich bezahlen müsste. Denn auch die EZB kann Vermögen nicht einfach herzaubern, sondern nur Geld zur Verfügung stellen, das in irgendeiner Form in der Realwirtschaft gedeckt sein muss, wenn keine unerwünschten Umverteilungseffekte stattfinden sollen.

Und genau diese möglichen Umverteilungseffekte führen nun zu einer wirtschaftspolitisch brenzligen Situation: Das griechische Votum wird auf den Märkten als Weigerung verstanden, das schon vor einiger Zeit aus dem Ruder gelaufene griechische Budget aus eigener Kraft zumindest langfristig stabilisieren zu wollen. Und genau dieser gute Wille wäre der Schlüssel gewesen, um weitere Finanzierungen und Hilfspakete zumindest im Ansatz rechtfertigen zu können. Für die Politiker der anderen Staaten in der Eurozone ergibt sich jetzt aber die Schwierigkeit, ihren Wählerinnen und Wählern zu erklären, warum weitere Finanzhilfen in Milliardenhöhe nach Griechenland geschickt werden sollen, wenn sogar die griechische Regierung selbst jegliche nachhaltige Stabilisierung des Staatshaushaltes erst gar nicht einmal versuchen will.

Außerdem ist die Gefahr von Dominoeffekten nun weiter massiv gestiegen: einerseits besteht das Risiko auf den Finanzmärkten, dass es zu Spekulationen gegen andere südeuropäische Staaten, wie zum Beispiel Spanien oder Portugal, kommen könnte, andererseits wäre ein Nachgeben der anderen Länder nun wohl als Beweis dafür zu interpretieren, dass man nur laut genug schreien und innerhalb der Fristverlängerung weiter eine Verzögerungstaktik spielen muss, um letztlich seine Position durchzusetzen. Damit hätte aber jedes Land, in dem auch das Budget stabilisiert werden muss, sofort jeglichen Anreiz verloren, sich an gemeinsam definierte Spielregeln zu halten.

Da nun also die Kosten eines Nachgebens der anderen Länder in der Eurozone durch die griechische Verhandlungstaktik massiv gestiegen sind, ist der Austritt Griechenlands aus der Währungsunion bzw. ein möglicher Zusammenbruch der griechischen Wirtschaft relativ gesehen weniger dramatisch geworden. Dabei darf aber nicht vergessen werden, dass der Grexit immer noch zu massiven ökonomischen Konsequenzen auf den Finanzmärkten und in der Realwirtschaft auch auf globaler Ebene führen kann.

Für Griechenland selbst werden die nächsten Tage von noch größerer Unsicherheit als bisher geprägt sein. Zwar kann seriös heute noch niemand genau abschätzen, was die nächste Zukunft bringen wird, aber einige Risken können jedenfalls nicht ausgeschlossen werden:

  • Die Knappheit an Zahlungsmitteln könnte zu einem Zusammenbruch des Geldsektors sowie der griechischen Kreditinstitute führen. Damit würde der Zahlungsverkehr im Inland, aber auch ins Ausland stocken bzw. stillstehen.
  • Ohne weitere Finanzhilfen wird der öffentliche Sektor in Griechenland nicht mehr in der Lage sein, die Gehälter für Beamte, aber auch Pensionen weiterhin zur Gänze auszubezahlen. Streiks, aber auch darüber hinausgehende Unruhen sind dann leider nicht ausgeschlossen. Ein Stillstand des öffentlichen Verkehrs oder der Gesundheitsversorgung könnte massive unmittelbare Auswirkungen auf die griechische Bevölkerung haben.
  • Durch die Einschränkungen im Zahlungsverkehr kann es zu massiven Behinderungen der Importe kommen, wodurch es in Griechenland zu Versorgungsengpässen kommen könnte. Auch schon die Angst vor solchen Engpässen könnte Hamsterkäufe hervorrufen und damit die Engpässe erst recht auslösen oder zumindest beschleunigen.
  • Letztlich würde die ohnehin schon schwache griechische Wirtschaft massiv weiter gedämpft werden, ein massiver Anstieg der Arbeitslosenquote wäre ebenso zu befürchten wie ein erheblicher Zuwachs an von Armut gefährdeten Haushalten.
  • Kommt es zu keiner weiteren Zufuhr mit Bargeld von außen, so müsste Griechenland wohl oder übel eine eigene Währung einführen und damit faktisch aus der Eurozone ausscheiden. Dabei ist es weniger von Bedeutung, ob es dafür rechtliche Spielregeln gibt oder nicht (diese gibt es nämlich nicht), sondern rein praktisch wäre dies der einzige Ausweg für Griechenland, um einen totalen Zusammenbruch des Wirtschaftssystems zu vermeiden.

Selbstverständlich bleibt noch zu hoffen, dass irgendwie eine Lösung des Problems nun doch noch gelingt. Derzeit liegt aber noch kein Patentrezept vor, das auch zumindest eine halbwegs realistische Chance für seine Umsetzung aufweisen kann. Und sogar wenn es eine Lösung gäbe, könnte diese wohl nicht bereits innerhalb weniger Tage wirksam werden. Die Lage bleibt also vorerst extrem unberechenbar und leider auch ökonomisch wie politisch durchaus brenzlig.