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Zinszahlungen Griechenland: zurückzahlen?

Profitieren andere Länder von der Griechenland Krise?

Medienberichten zufolge hat Deutschland seit 2015 etwa 1,34 Mrd. EUR an Zinsgewinnen aus Darlehen und Anleihenkäufen im Rahmen des Ankaufsprogramms der europäischen Zentralbank erzielt. Für Österreich betragen die Zinsgewinne im Zusammenhang mit den Hilfen für Griechenland bisher rund 111 Mio. EUR . Auf Basis dieser Tatsachen wird nun eine Diskussion geführt, ob andere Euro-Länder von der Griechenland Krise profitiert haben und ob die Zinszahlungen an Griechenland zurückgezahlt werden sollen.

Bisherige Finanzhilfen für Griechenland

Die Unterstützung aus der Eurozone für Griechenland in den letzten Jahren war durchaus beachtlich: bereits im Jahr 2010 wurden im Zuge des ersten Rettungspakets bilaterale Kredite von 73 Mrd. EUR ausbezahlt. Im Rahmen des zweiten Rettungspakets aus dem Jahr 2012 wurden 143 Mrd an Finanzierungen ausbezahlt. Das aktuelle dritte Rettungspaket weist ein Volumen von bis zu 86 Mrd EUR auf.

Für einen beachtlichen Teil der Finanzierungen sind entweder derzeit nur Zinsen und keine Tilgungen zu leisten (erst ab dem Jahr 2020 für die bilateralen Kredite im Rahmen des ersten Rettungspakets) bzw. auch Zinsen erst ab dem Jahr 2022 zu bezahlen (wesentliche Teile des zweiten Rettungspakets), die Laufzeiten der Kredite bewegen sich im Bereich von ungewöhnlich langen rund 30 Jahren.

Darüber hinaus wurden griechische Kreditinstitute über die Instrumente der europäischen Zentralbank (“ELA”) zeitweise mit Liquidität in Höhe von bis zu € 90 Milliarden versorgt.

Im Jahr 2012 kam es auch zu einem empfindlichen Schuldenschnitt, bei dem die Gläubiger auf große Teile ihrer Forderungen verzichten mussten.

Null-Zinsen für Staatsschulden?

Die nun diskutierten (rechnerischen) Zinserträge Deutschlands, die sich jährlich somit auf rund 500 Mio. EUR belaufen und daher für die gesamte Eurozone hochgerechnet eine Größenordnung von etwa 2 Mrd. EUR pro Jahr betragen dürften, müssen daher in Relation zu den Hilfspaketen von über € 200 Milliarden gesetzt werden für ein Land, dessen aktuelle Bonität von Moody’s im Juni 2017 auf Caa2 angehoben (!) wurde (das fällt immer noch in die Kategorie “extrem spekulativ“). Die Ratingklassen Caa bis C weisen übrigens über fünf Jahre eine durchschnittliche Ausfallsrate von etwa 56% aus.

Es gibt daher viele Gründe, warum Zinszahlungen für griechische Staatsschulden systematisch sinnvoll sind und eine Refundierung an Griechenland ökonomisch wenig Sinn machen würde:

  • Ziel einer Stabilisierung des griechischen Staatshaushaltes ist es unter anderem, Griechenland wieder vollen Zugang zu den Finanzmärkten zu ermöglichen. Daher müssen auch griechische Staatsanleihen prinzipiell eine marktkonforme Verzinsung aufweisen, da private Investoren sonst keinesfalls derartige Schuldtitel erwerben würden.
  • Verschiedene andere europäische Länder zahlen für ihre Staatsschulden teilweise deutlich höhere Zinsen bei gleichzeitig kürzeren Laufzeiten und erheblich besserer Bonität. Eine weitere Refundierung von griechischen Zinszahlungen käme einer Subvention gleich, die weder marktkonform noch anderen Ländern in der Eurozone gegenüber zu argumentieren wäre. Auch gegenüber den Steuerzahlern in der Eurozone wäre es nur schwer zu argumentieren, warum ein Land für die von ihm aufgenommenen Verbindlichkeiten gar keine Zinsen zahlen sollte.
  • Die Risikokosten griechischer Staatspapiere sind aufgrund der immer noch geringen Bonität sehr hoch und werden in den derzeitigen Zinszahlungen bei weitem nicht abgegolten.
  • Insbesondere Griechenland hat im Zuge der Hilfspakete außerordentlich günstige Finanzierungskonditionen bekommen, Laufzeiten wurden teilweise um 15 Jahre verlängert, Zinszahlungen gestundet und Finanzierungen vergeben, die am Markt auch zu zweistelligen Zinssätzen nicht verfügbar gewesen wären. Der Zinsdienst und Schuldendienst ist für den griechischen Staatshaushalt alles andere als kritisch, sondern ist aufgrund dieser Konditionen für die Stabilität der Finanzlage von deutlich untergeordneter Bedeutung.
  • Die Finanz- und Wirtschaftskrise war für alle Länder Europas eine große Herausforderung – die Schuldenkrise in Griechenland war letztlich ein Resultat einer langjährigen nicht nachhaltigen griechischen Budgetpolitik, die schließlich in Zeiten der Krise an ihre Grenzen gestoßen ist. Vielleicht auch, weil die Verzinsung griechischer Staatsanleihen aufgrund der Mitgliedschaft in der Eurozone nicht ausreichend auf den instabilen Budgetpfad reagiert hat. Eigentlich hätten alle europäischen Rechtsnormen den anderen Mitgliedstaaten verboten, hier finanziell einzuspringen – trotzdem wurden entsprechende Rettungsmaßnahmen in Europa (richtigerweise in dieser Situation) zugunsten Griechenlands gesetzt.
  • Die angeblichen „Gewinne“ Deutschlands im Zusammenhang mit Griechenland umfassen mehr als 900 Mio EUR im Zusammenhang mit dem Anleihenkaufprogramm der europäischen Zentralbank. Dieses verfolgt jedoch nicht das Ziel einer Stabilisierung der griechischen Staatsfinanzen und stellt auch keine Primärmittel zur Verfügung, sondern versucht über expansive Geldpolitik die Inflationsraten auf den Zielwert von rund 2 % zu bringen. Der Ankauf griechischer Staatsanleihen erfolgt im Wesentlichen nach gleichen Gesichtspunkten wie der Ankauf von Staatsanleihen aller anderen Staaten. Die EZB vergibt hier auch keine direkten Kredite an Griechenland, sondern kauft lediglich am (Sekundär-)Markt anderen (privaten) Gläubigern bereits vorhandene griechische Staatsanleihen mit einer entsprechend bereits festgelegten Verzinsung ab. Durch diese Anleihenkäufe wird das Zinsniveau für Staatsanleihen übrigens sogar gedrückt – auch Griechenland profitiert daher von geringeren Marktzinssätzen bei der Neuemission von Staatspapieren. Der rechnerische Anteil Deutschlands an diesen Zinserträgen der EZB aus Anleihen ist eine rein fiktive Größe, da diese Zinserträge ja auch nicht 1:1 an Nationalstaaten ausgeschüttet werden. Darüber hinaus ist die Verzinsung der ELA-Kredite der EZB mit etwa 1,5 % für notleidende griechische Kreditinstitute alles andere als marktkonform und verursacht erhebliche Risikokosten bei der EZB.
  • Gerade die am Markt geforderten Zinszahlungen auf Staatsschulden sind ein zumindest halbwegs interessanter Indikator für die Einschätzung der Bonität eines Nationalstaats und in gewisser Weise auch ein Disziplinierungsinstrument, damit Staaten sich nicht unbeschränkt verschulden (können und wollen). Es wäre ein sehr problematisches Signal, wenn gerade budgetär angeschlagene Staaten wie Griechenland von diesem Mechanismus ausgenommen würden.

Aus ökonomischer Sicht lassen sich daher kaum stichhaltige Argumente für eine weitere Erleichterung bei den griechischen Zinszahlungen finden – ganz im Gegenteil würden wesentliche Marktmechanismen ausgehebelt werden, die für eine Normalisierung der Situation und eine mittel- bis langfristige vollkommene Rückkehr Griechenlands an die Finanzmärkte unabdingbar sind. Und abgesehen davon, dass eine Stabilisierung der europäischen Finanzmärkte in Bezug auf die Griechenlandkrise selbstverständlich für ganz Europa von großer Bedeutung war und ist, waren und sind die Hilfspakete für die helfenden Staaten in Summe finanziell wohl sicher kein gutes Geschäft, sondern eher der europäischen Solidarität und der Stabilität Europas geschuldet.

Griechenland-Referendum: Wie geht es weiter?

Referendum: Sieg der Demokratie?

Das Referendum zum Sparkurs in Griechenland dürfte nun ersten Meldungen zufolge mit einem klaren NEIN ausgegangen sein. Vertreter der griechischen Regierung bezeichnen es schon jetzt als einen „Sieg der Demokratie“.

Dabei war dieses Referendum eher ein Sieg des Populismus und hat die ohnehin schwierige Situation nun dramatisch erschwert. Selbstverständlich steht es der griechischen Regierung und der griechischen Bevölkerung frei, die Bedingungen für eine Kreditvergabe durch die internationalen Geldgeber abzulehnen. Im Falle einer Ablehnung müsste die Konsequenz sein, auf internationale Hilfe gänzlich zu verzichten.

Die griechische Regierung hat aus dem Referendum allerdings eine Abstimmung über den Sparkurs und strukturelle Reformen an sich gemacht und will nun mit scheinbar gestärkten Rücken weiter verhandeln: erklärtes Ziel sind neue Finanzierungen (hier ist von etwa 30 Milliarden € für die nächsten Jahre die Rede) durch die internationalen Geldgeber, eine Stundung aller Zahlungen für die nächsten Jahre bzw. Jahrzehnte und ein Schuldenschnitt (hier wird eine Größenordnung von 50 % kolportiert) – das alles aber ohne strukturelle Reformen im Bereich des Steuersystems, des Pensionssystems sowie generell im Bereich der Verwaltung. Die in den letzten Jahren abgebauten Beamten sollen wieder aufgestockt werden, eine Anhebung der im internationalen Vergleich um etwa 8-10 Prozentpunkte geringeren Steuer- und Abgabenquote wird abgelehnt, obwohl die Effizienz des Steuersystems und auch die Steuergerechtigkeit in Bezug auf die Besteuerung höherer Einkommen in Griechenland durchaus fraglich sind und die Auszahlungen des Pensionssystems die Einzahlungen bei weitem übersteigen.

Das als vorbildlich demokratisch dargestellte Referendum soll also lediglich politischen Druck erzeugen, damit die Steuerzahlerrinnen und Steuerzahler der anderen europäischen Länder weitere Hilfspakete für Griechenland schnüren, ohne dass durch strukturelle Reformmaßnahmen zumindest auf die Chance hingearbeitet wird, dass diese ihr Geld auch wieder zurückbekommen.

Wie geht es weiter?

Viel bedeutender als das nun abgeschlossene Referendum ist aber die Frage, wie es nun für Griechenland weitergehen kann. Es bleibt nach wie vor sehr zweifelhaft, ob die griechischen Banken nach diesem Ergebnis nun wieder öffnen können. Viel wahrscheinlicher ist genau vom Gegenteil auszugehen, nämlich dass nun erst recht das Bargeld in Griechenland knapp werden wird. Auch an das Ende der Devisenverkehrskontrollen ist kaum zu denken, da der Abfluss ins Ausland wohl weiter erheblich wäre. Und die Illusion des griechischen Finanzministers, dass nämlich die EZB mit sich über eine Ausweitung der Notfallkredite (ELA) für griechische Banken verhandeln ließe, vernachlässigt hartnäckig, dass die EZB hier faktisch keinen Verhandlungsspielraum hat, da sie sich strikt an die ihr vorgegebenen Regeln zu halten hat, wenn sie nicht die gesamte Glaubwürdigkeit der Eurozone aufs Spiel setzen will. Außerdem wären Notfallkredite der Zentralbank in Milliardenhöhe nichts anderes als eine Finanzierung öffentlicher Defizite durch die Notenpresse, wodurch über den Umweg einer (allerdings aufgrund der derzeitigen niedrigen Preissteigerungen wohl kaum in der Öffentlichkeit beachteten) höheren Inflationsrate für alle anderen Mitglieder der Eurozone die Bevölkerung der anderen Mitgliedstaaten die Rechnung letztlich bezahlen müsste. Denn auch die EZB kann Vermögen nicht einfach herzaubern, sondern nur Geld zur Verfügung stellen, das in irgendeiner Form in der Realwirtschaft gedeckt sein muss, wenn keine unerwünschten Umverteilungseffekte stattfinden sollen.

Und genau diese möglichen Umverteilungseffekte führen nun zu einer wirtschaftspolitisch brenzligen Situation: Das griechische Votum wird auf den Märkten als Weigerung verstanden, das schon vor einiger Zeit aus dem Ruder gelaufene griechische Budget aus eigener Kraft zumindest langfristig stabilisieren zu wollen. Und genau dieser gute Wille wäre der Schlüssel gewesen, um weitere Finanzierungen und Hilfspakete zumindest im Ansatz rechtfertigen zu können. Für die Politiker der anderen Staaten in der Eurozone ergibt sich jetzt aber die Schwierigkeit, ihren Wählerinnen und Wählern zu erklären, warum weitere Finanzhilfen in Milliardenhöhe nach Griechenland geschickt werden sollen, wenn sogar die griechische Regierung selbst jegliche nachhaltige Stabilisierung des Staatshaushaltes erst gar nicht einmal versuchen will.

Außerdem ist die Gefahr von Dominoeffekten nun weiter massiv gestiegen: einerseits besteht das Risiko auf den Finanzmärkten, dass es zu Spekulationen gegen andere südeuropäische Staaten, wie zum Beispiel Spanien oder Portugal, kommen könnte, andererseits wäre ein Nachgeben der anderen Länder nun wohl als Beweis dafür zu interpretieren, dass man nur laut genug schreien und innerhalb der Fristverlängerung weiter eine Verzögerungstaktik spielen muss, um letztlich seine Position durchzusetzen. Damit hätte aber jedes Land, in dem auch das Budget stabilisiert werden muss, sofort jeglichen Anreiz verloren, sich an gemeinsam definierte Spielregeln zu halten.

Da nun also die Kosten eines Nachgebens der anderen Länder in der Eurozone durch die griechische Verhandlungstaktik massiv gestiegen sind, ist der Austritt Griechenlands aus der Währungsunion bzw. ein möglicher Zusammenbruch der griechischen Wirtschaft relativ gesehen weniger dramatisch geworden. Dabei darf aber nicht vergessen werden, dass der Grexit immer noch zu massiven ökonomischen Konsequenzen auf den Finanzmärkten und in der Realwirtschaft auch auf globaler Ebene führen kann.

Für Griechenland selbst werden die nächsten Tage von noch größerer Unsicherheit als bisher geprägt sein. Zwar kann seriös heute noch niemand genau abschätzen, was die nächste Zukunft bringen wird, aber einige Risken können jedenfalls nicht ausgeschlossen werden:

  • Die Knappheit an Zahlungsmitteln könnte zu einem Zusammenbruch des Geldsektors sowie der griechischen Kreditinstitute führen. Damit würde der Zahlungsverkehr im Inland, aber auch ins Ausland stocken bzw. stillstehen.
  • Ohne weitere Finanzhilfen wird der öffentliche Sektor in Griechenland nicht mehr in der Lage sein, die Gehälter für Beamte, aber auch Pensionen weiterhin zur Gänze auszubezahlen. Streiks, aber auch darüber hinausgehende Unruhen sind dann leider nicht ausgeschlossen. Ein Stillstand des öffentlichen Verkehrs oder der Gesundheitsversorgung könnte massive unmittelbare Auswirkungen auf die griechische Bevölkerung haben.
  • Durch die Einschränkungen im Zahlungsverkehr kann es zu massiven Behinderungen der Importe kommen, wodurch es in Griechenland zu Versorgungsengpässen kommen könnte. Auch schon die Angst vor solchen Engpässen könnte Hamsterkäufe hervorrufen und damit die Engpässe erst recht auslösen oder zumindest beschleunigen.
  • Letztlich würde die ohnehin schon schwache griechische Wirtschaft massiv weiter gedämpft werden, ein massiver Anstieg der Arbeitslosenquote wäre ebenso zu befürchten wie ein erheblicher Zuwachs an von Armut gefährdeten Haushalten.
  • Kommt es zu keiner weiteren Zufuhr mit Bargeld von außen, so müsste Griechenland wohl oder übel eine eigene Währung einführen und damit faktisch aus der Eurozone ausscheiden. Dabei ist es weniger von Bedeutung, ob es dafür rechtliche Spielregeln gibt oder nicht (diese gibt es nämlich nicht), sondern rein praktisch wäre dies der einzige Ausweg für Griechenland, um einen totalen Zusammenbruch des Wirtschaftssystems zu vermeiden.

Selbstverständlich bleibt noch zu hoffen, dass irgendwie eine Lösung des Problems nun doch noch gelingt. Derzeit liegt aber noch kein Patentrezept vor, das auch zumindest eine halbwegs realistische Chance für seine Umsetzung aufweisen kann. Und sogar wenn es eine Lösung gäbe, könnte diese wohl nicht bereits innerhalb weniger Tage wirksam werden. Die Lage bleibt also vorerst extrem unberechenbar und leider auch ökonomisch wie politisch durchaus brenzlig.

Aus für Frankendeckelung

Ende der Franken-Deckelung

Mit ihrer Ankündigung, den Kurs des Schweizer Franken nicht mehr auf 1,20 zu deckeln, hat die Schweizer Notenbank für Überraschung auf den Finanzmärkten gesorgt. Dass dieser Deckel nicht für alle Ewigkeit aufrecht erhalten bleiben wird, war zwar klar, aber der Zeitpunkt war doch einigermaßen unerwartet. Dabei gibt es für die SNB doch einige plausible Beweggründe:

  • Die Stabilisierung des Wechselkurses hat dazu geführt, dass die SNB in den letzten Monaten enorme Mittel in Euro veranlagt hat. Die anhaltenden Diskussionen im Zusammenhang mit Griechenland, aber auch die geopolitischen Risken in Russland und der Ukraine sowie im Zusammenhang mit islamistischen Terroranschlägen haben den Euro aber weiter unter Druck gebracht, so das hier ein enormes Abwertungsrisiko und damit Verlustrisiko für die SNB besteht.
  • Es ist auch fraglich, ob die Instrumente der SNB noch ausreichen, um die Deckelung überhaupt effektiv umsetzen zu können. Die Leitzinssätze in der Schweiz sind im deutlich negativen Bereich, das geldpolitische Instrumentarium scheint somit zu einem großen Teil ausgereizt. Die Ankündigung der EZB, durch weitere Anleihenkäufe die Geldpolitik zusätzlich zu lockern, erschwert es für die SNB zusätzlich, den Wechselkurs erfolgreich zu stabilisieren.

Ungeachtet dieser Tatsachen bedeutet dieser überraschende Schritt der SNB dennoch zunehmende Turbulenzen und Risken für die gesamte Wirtschaftsentwicklung, sowohl auf den Finanzmärkten als auch in der Realwirtschaft.

Effekte der Freigabe des Schweizer Franken

  • Für die Schweiz bedeutet die Aufwertung des Franken, die sich derzeit im Bereich von 10-20 % bewegt, eine drastische Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit auf den internationalen Märkten. Es gilt freilich zu bedenken, dass die bisherige Deckelung des Wechselkurses den Schweizer Franken künstlich gedämpft hat, sodass diese Rücknahme der geldpolitischen Strategie das aufgestaute Aufwertungspotenzial nun schlagartig freigesetzt hat. Langfristig wäre ein derartiges Wechselkursregime nicht haltbar gewesen, der Zeitpunkt der Aufhebung in einer Phase permanent stagnierender Konjunkturerwartungen ist für die Schweiz aber sicher nicht unproblematisch. In der Schweiz drohen somit eine Dämpfung des Wirtschaftswachstums und stärkere Anspannungen auf dem Arbeitsmarkt.
  • Obwohl die SNB noch vor einigen Tagen angekündigt hat, an der Deckelung als Säule der Geldpolitik festhalten zu wollen, wurde nun überraschend der Deckel abgeschafft. Zwar bleibt einer Notenbank bei derart drastischen Maßnahmen eigentlich keine andere Wahl, als überraschend und unangekündigt zu agieren, da die Märkte sonst nach einer Ankündigung die Effekte vorwegnehmen würden und auch die Volatilitäten sich über einen längeren Zeitraum erhöhen könnten. Auf der anderen Seite entsteht hier dennoch ein nicht unerhebliches Reputationsrisiko für die SNB, dass in Zeiten hoher Unsicherheiten auf den Märkten nicht ungefährlich ist.
  • Für die Staaten der Eurozone können sich zwar unmittelbar Wettbewerbsvorteile gegenüber der Schweiz ergeben, wobei insbesondere Tourismus und Handel zum Beispiel in Westösterreich positiv betroffen sein könnten. Ob diese realwirtschaftliche Impulse jedoch die negativen Effekte auf den Finanzmärkten und die Erhöhung der Unsicherheit in der Realwirtschaft kompensieren können, erscheint mehr als fraglich.
  • In Österreich sind geschätzte 30 Milliarden Euro an Fremdwährungskrediten in Schweizer Franken im Umlauf. Eine Aufwertung des Schweizer Franken von 10-20 % führt daher rechnerisch zu einem gesamtwirtschaftlichen Schaden von 3-6 Milliarden Euro für betroffene Kreditnehmer. Dabei handelt es sich um private Haushalte, Unternehmen, aber auch die öffentliche Hand. Wie hoch diese Risken bzw. Schäden tatsächlich sind, hängt nicht nur davon ab, ob und wann sie realisiert werden, sondern auch davon, ob es hier entsprechende Risikoabsicherungsgeschäfte gegeben hat oder nicht. Unzweifelhaft ist aber, dass in diesem Bereich erhebliche negative Potenziale vorhanden sind.
  • Die Freigabe des Schweizer Franken ist aber auch dahingehend zu interpretieren, dass das Vertrauen in den Euro und die Eurozone insgesamt drastisch gesunken ist. Dieses Signal kann die Investitionszurückhaltung weiter verstärken und damit die Realwirtschaft der Eurozone weiter belasten.

In Summe dürften also auch für die Eurozone die negativen Effekte dieser Entwicklung mögliche positive Aspekte im Bereich der internationalen Wettbewerbsfähigkeit deutlich überwiegen.

Was sollen Kreditnehmer nun machen?

Diese Frage ist in der heutigen Situation nicht einfach zu beantworten. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Devisenmärkte unmittelbar nach der Ankündigung drastisch überreagiert haben. Dies zeigt sich auch darin, dass der Schweizer Franken zuerst sehr stark aufgewertet hat, nach einigen Stunden sich die Situation aber wieder entschärft hat. Dennoch bleibt auch derzeit eine massive Aufwertung des Schweizer Franken gegenüber dem Euro vorhanden im Vergleich zu den letzten Monaten. Die Freigabe des SFR-Wechselkurses hat letztlich nicht den EUR abgewertet, sondern die Abwertung des EUR in den letzten Wochen auch gegenüber dem USD nunmehr auch auf den Wechselkurs zum Franken durchschlagen lassen.

Wie es weitergeht, wird nun vor allem davon abhängen, ob sich das Vertrauen in den Euro weiter verschlechtert oder wieder stabilisiert. Besonders kritisch werden in den nächsten Tagen die Wahlen in Griechenland sein und die darauf folgenden Entwicklungen. Auch die Frage, ob die EZB die Geldpolitik tatsächlich weiter lockert und auch über Staatsanleihenkäufe verstärkt auf den Geldmärkten operiert, wird die Erwartungen der Marktteilnehmer maßgeblich beeinflussen.

Für Kreditnehmer bedeutet das eine extrem unsichere Situation. Auch wenn es nicht ausgeschlossen ist, dass es zu einer länger anhaltenden und sich sogar noch verstärkenden Aufwertung des Schweizer Franken kommt, besteht dennoch die Möglichkeit einer Erholung der Eurozone in den nächsten Monaten bzw. Jahren. Bei noch langen Restlaufzeiten von Fremdwährungskrediten würde dies tendenziell für vorsichtiges Abwarten sprechen. Bei kurzen Restlaufzeiten ist guter Rat sogar noch teurer: derzeit kann wohl niemand seriös abschätzen, ob es klüger ist, einen beschränkten Verlust jetzt zu realisieren oder in der Hoffnung auf eine Verlustminderung weitere Risken einzugehen und im Schweizer Franken zu bleiben – und damit auch schlechter aussteigen zu können als derzeit.

Leider zeigt sich durch diese Entwicklungen, wie wichtig und richtig die Strategie in Österreich war, die Neuaufnahme von Fremdwährungskrediten in den letzten 5 Jahren zumindest im Bereich der Privatkunden massiv einzuschränken, um individuelle, aber auch volkswirtschaftliche Risken zu minimieren.

ÖVAG-Abwicklung

ÖVAG Bad-Bank – eine Überraschung?

Die Abwicklung der ÖVAG durch die Gründung einer Bad Bank kommt nun recht überraschend. Zwar ist schon seit Jahren bekannt, dass die ÖVAG durch ihre Verluste vor allem im internationalen Bereich ein Sorgenkind der österreichischen Bankenlandschaft war, und dass auch der bevorstehende Stresstest die eine oder andere Kapitallücke zum Vorschein befördern würde, aber dass nun eine Abwicklung kurzfristig in die Wege geleitet wird, hätten die meisten Beobachter doch nicht so erwartet.

Eine Pleite? Ja, aber geordnet…

Selbstverständlich ist die Abwicklung der ÖVAG eine Pleite – terminologisch lässt sich da zweifellos auf akademischem Niveau diskutieren, aber inhaltlich steht fest, dass die Verantwortlichen in der ÖVAG wohl keine Chance auf eine Fortführung gesehen haben – und das wahrscheinlich durchaus richtig.

Die jetzt in Angriff genommene Abwicklung lässt zumindest die Hoffnung zu, dass am Ende (je nach Marktlage!) sogar noch der eine oder andere positive Wert übrigbleiben kann. An der Tatsache, dass die Eigentümer (die regionalen Volksbanken) Abschreibungen vornehmen mussten und müssen und dass auch die Staatshilfe von mehr als 1 Mrd. EUR nicht zurückgezahlt werden kann, ändert das selbstverständlich nichts. Ein Schaden wird am Ende daher mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wohl bleiben – aber der jetzt erfolgte konsequente Schritt wird den Schaden zumindest minimieren und verhindert auf diese Weine noch größeren Schaden. Grund zur Freude besteht also nicht, aber wir SteuerzahlerInnen kommen zumindest mit einem blauen Auge davon und müssen nicht noch zusätzliche Zuschüsse leisten.

Die Gründung einer Bad Bank entspricht den neuen Spielregeln für Bankeninsolvenzen auf europäischer Ebene. Störungen des Finanzmarktes sind aus heutiger Sicht durch die Abwicklung kaum absehbar. Im Gegenteil – im Angesicht der Schwierigkeiten kommt es im Volksbankensektor insgesamt zu einer durchaus gravierenden Bereinigung der Strukturen: die regionalen Institute fusionieren und bilden größere Einheiten (9+3). Das wäre in dieser Form ohne äußere Zwänge in den letzten Monaten nicht so einfach möglich gewesen.

Hypo Alpe-Adria – die Unterschiede

Bleibt die Frage, was hier nun anders läuft als bei der Hypo Alpe-Adria. Die Unterschiede sind allerdings tatsächlich gravierend:

  • Es gibt keine Milliardenhaftungen eines Bundeslandes. Dadurch ist der öffentliche Sektor mit dem Geld der SteuerzahlerInnen “nur” insoweit involviert, als die bereits gewährte Bankenhilfe nicht zurückgezahlt werden kann. Weitere Haftungen stellen also bei der ÖVAG im Gegensatz zur Hypo kein zusätzliches Problem dar.
  • Die Situation ist überschaubar. Die Laufzeiten der abzuwickelnden Geschäfte sind kürzer, daher ist der Zeithorizont besser einzuschätzen. Die Abwicklung der ÖVAG wird recht frühzeitig in Angriff genommen, sodass die Abwicklung selbst voraussichtlich keine weiteren Kosten über die bisherigen Verluste hinaus verursachen wird. Der Großteil der Verluste wird von den Eigentümern (den regionalen Volksbanken) übernommen und nicht den SteuerzahlerInnen aufgebürdet (bis auf die bereits gewährten und verlorenen Staatshilfen).
  • Die Bilanzen der ÖVAG sind (nach heutigem Erkenntnisstand) korrekt – bei der Hypo wurden über die Jahre hinweg immer weitere Leichen aus dem Keller ans Tageslicht befördert. Bei der Hypo wurde (im Nachhinein wohl fälschlich) davon ausgegangen, dass die Probleme lediglich vorübergehend bestehen würden, weil als Ursache die Markteinbrüche der Wirtschaftskrise gesehen wurden – und nicht das strukturell problematische Geschäftsmodell der Hypo mit strafrechtlich relevanten Malversationen, Bilanztricks und -Fälschungen sowie Scheingeschäften am Balkan.
  • Die ÖVAG ist eine Tochter der regionalen Volksbanken. Die “guten” Geschäfte und notwendige Aufgaben für den Sektor können vergleichsweise einfach an lebensfähige Kreditinstitute übertragen werden.

Stresstest als Auslöser?

Auch wenn es heftig dementiert wird – der Stresstest ist zwar nicht die Ursache für die Abwicklung, aber durchaus im zeitlichen Zusammenhang relevant. Sehr wahrscheinlich hätte die ÖVAG einen nennenswerten Kapitalbedarf gehabt, der nicht so einfach aufzubringen gewesen wäre. Zwar hätte es dann noch einige Monate Zeit gegeben, eine Abwicklung aus eigenen Stücken vor der Veröffentlichung der Stresstest-Ergebnisse ist aber jedenfalls einfacher und weniger kostspielig.

Wie viel wird es uns kosten?

Aus heutiger Sicht kann noch niemand seriös den endgültigen Schaden abschätzen. Es scheint aber derzeit so, als ob die geordnete Abwicklung mittels Bad Bank kostendeckend oder sogar noch mit einem geringen Überschuss möglich sein könnte – vorausgesetzt, es kommt zu keinen unerwarteten Einbrüchen auf den Märkten. Bleibt also die bisher schon eingesetzte Staatshilfe als Schaden, also am Ende wahrscheinlich ein Verlust von gut 1 Mrd. EUR für die Öffentlichkeit. Im Vergleich zur Hypo ist das ein geringer Betrag – in Euro aber durchaus immer noch viel Geld…