Archiv der Kategorie: Budget und Steuern

Mystisches “Nulldefizit”?

In den letzten Tagen und Wochen wurden von der Europäischen Kommission, dem Finanzministerium, der Nationalbank und dem Fiskalrat unterschiedliche Prognosen für das Defizit 2018 und 2019 veröffentlicht.

Das gezeichnete Bild der Budgetsituation ist über alle Prognosen hinweg ökonomisch eindeutig: Passend zu einer sehr guten Entwicklung der Wirtschaftslage im Jahr 2018 (je nach Quelle derzeit 2,7% bis 3% Wachstum des realen BIP) stellt sich der Haushalt im Wesentlichen ausgeglichen dar. Konjunktureller Rückenwind einerseits und strukturelle Maßnahmen der Bundesregierung andererseits können für 2018 nach vielen Jahren anhaltender Defizite aller Voraussicht nach einen neutralen Staatshaushalt erreichen. Damit hält Österreich alle Fiskalregeln für 2018 und 2019 aus heutiger Sicht eindeutig ein – die Verfehlungen der Ausgabenregel sind aufgrund der Gesamterfüllung des sogenannten “MTO” im Sinne der Einhaltung des Fiskalpaktes technisch nicht relevant (wenn auch in Zukunft selbstverständlich weiterhin inhaltlich im Auge zu behalten, insbesondere in Hinblick auf die Dynamik der Entwicklungen im Bereich der Daseinsvorsorge – Pflege, Gesundheit, Pensionen). Entscheidend ist, diese Budgetdisziplin weiterhin zu halten und auch den Herausforderungen der Zukunft frühzeitig und konsequent zu begegnen.

Trotz dieser generell erfreulichen Entwicklung des Staatshaushaltes, die in dieser Phase der Konjuktur auch geboten ist, um wieder Manövriermasse für die Zukunft sicherzustellen (wenn der Wirtschaftsmotor in den nächsten Jahren einmal nicht mehr so brummen wird), geht es derzeit in der öffentlichen Diskussion interessanterweise hauptsächlich um die Frage, ob denn das Nulldefizit im Sinne der magischen Zahl “Null” bereits 2018 erfüllt wird oder nicht.

Geht es nach den Prognosen von Fiskalrat und OeNB, dann ist das 2018 bereits möglich – nach den Prognosen der Europäischen Kommission (EK) und des Finanzministeriums (BMF) könnte das auch erst 2019 der Fall sein und 2018 noch ein Fehlbetrag von bis zu 1 Mrd. EUR vorhanden sein.

Obwohl Geldbeträge dieser Größenordnung viel Geld sind, handelt es sich gesamtwirtschaftlich gesehen doch “nur” (daher unter demütigen Anführungszeichen!) um 0,3% des BIP – oder anders ausgedrückt um eine Differenz von maximal 3 Tausendstel (!) der Wirtschaftsleistung. Realisitisch betrachtet kann vor Jahresende – und ehrlicherweise auch noch Monate danach, bis alle Daten vorliegen – niemand vorhersehen, wie das Jahr 2018 tatsächlich zu Ende gehen wird. Prognosen sind – wenn auch nach bestem Wissen und mit ausgefeilten Methoden und Modellen – Prognosen und keine Vorhersehung der Realität.

Die – von allen geteilte – Kernaussage bleibt jedenfalls: Der österreichische Staatshaushalt ist stabil und im Großen und Ganzen ausgeglichen, ob jetzt -0,1, null oder +0,1 dort stehen wird. Es wäre wünschenswert, vor lauter Bäumen der Detailzahlen nicht den Wald in seinem Gesamtbild der Budgetsituation zu übersehen.

Es gibt verschiedene Gründe, warum trotz bester Daten, Methoden und Modelle bei derartigen Prognosen immer eine Unschärfe bleiben muss:

  • Die zugrundeliegenden Daten (Konjunktur, BIP, Arbeitsmarkt, Steuereinnahmen, Ausgaben) stammen aus unterschiedlichen Prognosen von verschiedenen Zeitpunkten.
  • Das noch laufende Weihnachtsgeschäft kann maßgeblichen Einfluss auf Zahlungsströme bzw. das endgültige BIP haben.
  • Zahlen von Ländern und Gemeinden müssen für den Gesamtstaat mit den Zahlen des Bundes erst zusammengefasst werden.
  • Zahlungszeitpunkte bei den Steuern können gerade über den Jahreswechsel hinaus zu unvorhersehbaren Effekten führen.
  • Globale Unsicherheiten (Brexit etc.) können in Prognosen nur bedingt berücksichtigt werden, da Größe und zeitliche Struktur der Effekte nicht vorhersehbar sind.
  • Revisionen der Definitionen, der Daten sowie Methodik bei der Berechnung bestimmter Größen sind der Regelfall und können vor allem “strukturelle Größen” (z.B. das “strukturelle Defizit”) auch Jahre danach rechnerisch noch maßgeblich verändern. Allein die sogenannte “statistische Differenz” bei der Berechnung des BIP konnte sich in den letzten Jahren auch schon einmal auf über 800 Mio. EUR belaufen.
  • Die Berechnung der Defizite nach den Maastrichtregeln ist im Einzelfall komplex, weil die Zurechnungen zum öffentlichen Sektor und die Abgrenzungen der Einnahmen und Ausgaben inhaltlich und zeitlich nicht immer eindeutig sind.

Beispielhaft hat der Fiskalrat im letzten Jahr in einer Analyse die Prognoseunsicherheiten für die wichtigsten Budgetkomponenten zwischen 2014 und 2017 ermittelt:

Dabei sieht man, dass die Abweichungen für das Budgetdefizit bei den prognostizierenden Institutionen (EK, BMF und Fiskalrat) im Schnitt 0,36 bis 0,44 Prozentpunkte (des BIP) betragen.

Fazit: Der exakte Zeitpunkt, wann auf dem Papier das Minus in ein Plus umschlägt, mag zwar in der Diskussion spannend sein. Der entscheidende Punkt allerdings ist, dass sich Österreich derzeit – auch im internationalen Vergleich – über eine stabile Budgetsituation freuen kann, die Anstrengungen und Diszplin aber gerade jetzt konsequent weitergeführt werden müssen.

Kalte Progression abschaffen – ganz oder gar nicht

Progressiver Tarif

Im Bereich der Einkommensteuer und der Lohnsteuer gibt es in Österreich, wie auch in den meisten anderen westlichen Ländern, einen progressiven Tarif. Das Einkommen wird also nicht zu einem festen Steuersatz versteuert, sondern jeweils höhere Einkommensteile werden immer höheren „Grenzsteuersätzen“ in genau definierten Tarifstufen unterworfen. In Österreich bleiben beispielsweise Einkommensbestandteile unter € 11 000 steuerfrei, danach steigen die Steuersätze seit der letzten Steuerreform auf 25 %, 35 %, 42 %, 48 %, ab € 90 000 schließlich 50 % oder über € 1 Million (derzeit bis 2020 befristet) sogar 55 %. Dadurch ergibt sich eine treppenförmige Tarifstruktur, und der durchschnittliche Steuersatz steigt bei höherem Einkommen auch entsprechend an.

Das Problem der “kalten Progression”

Inflation stellt dabei aber ein systematisches Problem dar, denn wenn Löhne, Gehälter und Einkommen aufgrund der Teuerung steigen, dann rutschen die Steuerpflichtigen mit Teilen ihres Einkommens unter Umständen in höhere Tarifstufen, sodass die prozentuale Steuerbelastung dadurch steigt, ohne dass die Kaufkraft der Einkommen und damit die steuerliche Leistungsfähigkeit der Betroffenen gestiegen ist.

Dabei kann es nun zu verschiedenen Schwierigkeiten kommen:

  • Gleichmäßigkeit der Besteuerung: Nicht alle Steuerpflichtigen sind gleichermaßen betroffen. Wer aufgrund eines niedrigen Einkommens keine Steuer bezahlt und die Tarifstufe nicht überschreitet, zahlt weiterhin nichts. Wer vorher ein Einkommen erzielt hat, dass gerade noch knapp unterhalb eines Grenzbetrages gelegen ist, wird möglicherweise besonders stark belastet.
  • Stabilität/Resilienz: Es kommt zu einer schleichenden Erhöhung der Steuerlast, auch wenn die Realeinkommen gar nicht gestiegen sind. Langfristig betrachtet würden alle Steuerpflichtigen schließlich sogar in die höchste Steuerstufe aufsteigen, wenn man nur lange genug zuwartet.
  • Effizienz: Das Steuersystem wird durch diese kalte Progression immer weniger „elastisch“, weil nach und nach über die Jahre hinweg alle Menschen in höhere Tarifstufen rutschen. Dadurch werden auch konjunkturelle Schwankungen weniger stark durch das Steuersystem automatisch stabilisiert.

Positiv für die Vermarktung der Politik ist jedoch, dass allein durch die Inflation automatisch zusätzliche Einnahmen in das Budget gespült werden, die entweder für Mehrausgaben herangezogen oder alle paar Jahre in eine (möglicherweise nur kosmetische) Steuerreform investiert werden können, bei der dann im Tarif nur das korrigiert wird, was durch die kalte Progression an Mehrbelastung hinzugekommen ist.

Aufgrund der oben genannten nachteiligen Auswirkungen der kalten Progression, wurde in Österreich schon lange vor der letzten Steuerreform immer wieder und teilweise recht ausgiebig über eine Abschaffung der kalten Progression diskutiert. Diese Übung wäre an sich nicht kompliziert: es müssten nur alle Tarifstufengrenzen regelmäßig und automatisch an die Inflation angepasst werden. Rein nominelle Einkommenserhöhungen hätten damit keine Progressionseffekte mehr zur Folge, darüberhinausgehende Einkommenserhöhungen würden nach wie vor zu einer entsprechenden Vorrückung in der Progression führen. Für die Komplexität der Steuerberechnung spielt das keine Rolle, denn niemand rechnet sich heutzutage einen Steuerbetrag händisch oder anhand der guten alten „Lohnsteuertabellen“ des letzten Jahrhunderts aus.

Kalte Progression und Umverteilung

Die österreichische Diskussion geht aber leider am Kern dieses grundsätzlich einfach zu lösenden Problems vorbei, und so wird in diesem Zusammenhang anstelle der Themen Effizienz, Stabilität, Resilienz und Gleichmäßigkeit der Besteuerung über ein Thema diskutiert, das mit der Problematik *kalter* Progression rein gar nichts zu tun hat: Umverteilung.

Denn genau Fragen der Umverteilung sollen ja durch einen progressiven Steuertarif angesprochen und umgesetzt werden. Wer mehr verdient, zahlt ja eben nicht proportional mehr Steuer, sondern überproportional (= progressiv). Das entspricht auch einem weitgehenden Konsens in Österreich (wenn man von schwer umzusetzenden vereinzelten Forderungen nach einer Flat Tax absieht). Genau durch die Progression im Tarif selbst kommt es ja bereits zu der offensichtlich gewünschten Umverteilung. Indem nun die kalte Progression (also eine schleichende Veränderung der Progression) verhindert wird, kann man genau diese erwünschte Verteilungswirkung konstant aufrechterhalten, ohne dass es eben zu unerwünschten und nicht kontrollierbaren Veränderungen genau dieser Verteilungsfunktion des Steuersystems kommt. Wer sich also zur Umverteilungswirkung eines progressiven Steuersystems bekennt, der muss rein logisch auch ein Interesse daran haben, dass diese Umverteilungswirkung stabil bleibt.

Auch wäre es in diesem Zusammenhang sinnwidrig, zu beklagen, dass jene, die keine Steuern zahlen, von den „Erleichterungen“ der Abschaffung der kalten Progression nicht profitieren – der Tarif sieht ja schon eine Umverteilung in dem Sinne vor, dass eben keine Steuern zu zahlen sind. Außerdem bringt die Abschaffung der kalten Progression keine „Erleichterungen“, sondern verhindert lediglich eine schleichende Mehrbelastung. Wer also keiner Steuer(mehr)belastung durch die kalte Progression ausgesetzt ist, leidet eben auch finanziell nicht darunter und muss daher davor auch nicht geschützt werden. Im Falle der Einschätzung, dass die Verteilungswirkungen des Steuersystems nicht unseren gesellschaftspolitischen Vorstellungen entsprechen, müsste der Tarif selbst entsprechend explizit korrigiert werden (es ist davon auszugehen, dass die Bundesregierung im Zuge der letzten Steuerreform dazu eigentlich die Gelegenheit hatte) – aber nicht auf eine diffuse Verschiebung der Steuerlasten über nicht vorhersehbare inflationäre Prozesse im Zeitverlauf spekuliert werden.

Ganz – oder gar nicht

Die Stabilität der Verteilungswirkung ist auch schon das größte logische Problem bei den derzeit in Diskussion befindlichen Kompromissen. Die typisch österreichische Lösung könnte nämlich darauf hinauslaufen, dass nur die unteren Tarifstufen automatisch an die Inflation angepasst werden, die oberen Tarifstufen aber nicht. Was sich auf den ersten Blick wie ein praktikabler Mittelweg darstellt, ist jedoch inhaltlich ein gravierender Holzweg. Wenn nämlich die unteren Tarifstufen mit der Inflation Jahr für Jahr angehoben werden, die oberen Stufen aber gleichbleiben, dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis die unteren Stufen die oberen gewissermaßen eingeholt haben. Es würde dann das Paradoxon entstehen, dass irgendwann eine niedrigere Steuerstufe ab dem gleichen Betrag wirksam wird wie die höhere – eine Situation, die freilich in einem Steuertarif logisch undenkbar ist. Spätestens dann müsste es zu einer umfangreichen strukturellen Tarifreform kommen, in der Praxis wird aber schon vorher die Progression so verzerrt werden, dass der Tarif praktisch unbrauchbar wäre.

Eine teilweise Abgeltung der kalten Progression würde den Steuertarif also nicht „stabiler“ und planbarer machen, sondern würde im Gegenteil schon heute das Erfordernis zukünftiger Korrekturmaßnahmen ein zementieren. In diesem Fall gilt also „ganz oder gar nicht“ – eine nur teilweise Valorisierung der Tarifstufen wäre nicht nur der klassische halbherzige österreichische Kompromiss, der den einen zu wenig weit geht und den anderen viel zu weit, sondern schlicht und einfach kontraproduktiv, weil das System dadurch nur labiler und inkonsistenter würde.

Nachhaltigkeit der Pensionen in Österreich

Reizthema “Pensionen”?

Kaum ein Thema ist so kontroversiell wie das Thema “Pensionen” – geht es doch um Zukunftssicherung für Menschen, die nach einem Erwerbsleben in einen sozial angemessen abgesicherten Ruhestand treten wollen.  Eine gute Zukunftssicherung ist eine, auf die man sich verlassen kann. Somit sind Ängste vor Pensionskürzungen selbstverständlich ernst zu nehmen, ebenso Sorgen der jungen Generation, ob auch sie in den Genuss gesicherter Pensionen im Alter kommen wird.

Der Wunsch nach einer heilen (Pensions-)Welt ist nur allzu verständlich – allerdings haben Analysen verschiedener nationaler und internationaler Institutionen (EU-Kommission, OECD, Rechnungshof,…) aufgezeigt, dass die Nachhaltigkeit des Pensionssystems in Österreich leider keinesfalls als sicher anzunehmen ist und auch im internationalen Vergleich eher schlecht abschneidet.

Es geht also in erster Linie darum, eine realistische Analyse der Situation zur Grundlage der politischen Diskussion zu machen und möglichst viele Handlungsalternativen aufzuzeigen, welche Nachhaltigkeitsmechanismen im österreichischen Pensionssystem gestärkt oder auch implementiert werden können, um die Stabilität der Pensionen – und damit die Sicherheit der derzeit arbeitenden Menschen sowie künftiger Generationen – zu erhöhen.

Diese Zielsetzung verfolgte übrigens auch die im Finanzministerium (BMF) angesiedelte (ehrenamtliche) Arbeitsgruppe, deren vorläufige Ergebnisse kürzlich medial heftig diskutiert wurden (obwohl die Endfassung der Ergebnisse noch gar nicht vorliegt): eine Analyse der Ist-Situation und das Aufzeigen möglicher Stellschrauben. Also eine Art Speisekarte für die Politik, um innerhalb der Regierung und auch darüber hinaus eine offene Diskussion führen zu können. Es ging nicht um ein politisches “Pensionsreformkonzept”, auch nicht darum, neue Dinge zu (er)finden, sondern um eine Diskussionsbasis auf Grundlage bestehender Analysen und Maßnahmen aus dem internationalen Kontext. Es ist ja jedenfalls Aufgabe der Politik, zu entscheiden, welche der Stellschrauben (vorzugsweise in einem Mix aus Maßnahmen aus internationalen Beispielen) dann tatsächlich gedreht werden sollen. Eine Entscheidung und Wertung der Maßnahmen steht selbstverständlich jeder Person frei – kann aber nicht von einer “Expertengruppe” geleistet werden, sondern muss einem politischen Diskurs unterworfen werden.

Nachhaltigkeit

Vorab: unser Pensionssystem ist derzeit nicht nachhaltig genug in dem Sinne, dass es ohne wiederholte äußere Korrekturmaßnahmen finanziell langfristig nicht stabil sein wird. Die Faktoren sind bekannt: die demografische Entwicklung, längere Ausbildungszeiten, kürzere Zeit im Erwerbsleben, sowie permanent steigende Lebenserwartung.

Vor 40 Jahren etwa haben Menschen im Schnitt 45 Jahre im Erwerbsleben zugebracht und 25 Jahre ohne Erwerbseinkommen, davon 17 Jahre in Ausbildung und acht Jahre in Pension. Heute hat sich diese Relation umgekehrt: im Schnitt kommen wir nur noch auf 38 Erwerbsjahre, mit denen 43 Jahre ohne Erwerbstätigkeit finanziert werden müssen, davon 22 Jahre mit Bezug einer Pension.

Aus all diesen Gründen steigen die Fehlbeträge im Pensionssystem (Differenzen zwischen Einzahlungen und Auszahlungen – der ominöse “Bundesbeitrag”) permanent an. Das bedeutet auch, dass die erwerbstätigen Personen einen immer größeren Teil ihres Einkommens über das Steuersystem für die Finanzierung des Pensionssystems aufwenden müssen – aber nicht für ihre eigenen zukünftigen Pensionsansprüche, sondern rein zur Bezahlung heutiger Pensionen. Das Grundproblem ist also eine Verteilungsfrage zwischen den Generationen in Verbindung mit der Tatsache, dass wir alle in Österreich im Schnitt mehr aus dem Pensionssystem erhalten als wir dazu beitragen. Aus naheliegenden Gründen ist das langfristig eben leider nicht nachhaltig und kann daher auch nicht funktionieren…

Prinzipiell stehen nun aus rein logischen Überlegungen (ohne Unterstellung, dass alle diese Maßnahmen dann im Detail wünschenswert und/oder gesellschaftspolitisch sinnvoll wären!) verschiedene Stellschrauben zur Verfügung:

  • Erhöhung der Einnahmen des Pensionssystems
    (z.B. höhere Beiträge, Verbreiterung der Bemessungsgrundlagen, längere Zeit im Erwerbsleben)
  • Senkung der Ausgaben des Pensionssystems
    (z.B. geringer Auszahlungshöhe bzw. “Nettoersatzquote”, kürzere Zeit in Pension durch späteren Pensionsantritt, geringere Pensionsanpassungen)

Im Detail sind daher viele Maßnahmen denkbar, die aber alle in die eine oder andere Richtung abzielen. Im internationalen Vergleich wird auch unterschiedlich damit umgegangen: Dänemark beispielsweise setzt massiv auf eine Anhebung des Pensionsantrittsalters, sodass dort möglicherweise in einigen Jahrzehnten Menschen erst mit 75 Jahren in Pension gehen werden (eine Perspektive, die ich persönlich in dieser rigorosen Form als nicht optimal erachte, weil die gesunden Lebensjahre nicht im gleichen Ausmaß steigen wie die Lebenserwartung insgesamt). Schweden wiederum setzt eher auf eine Ergänzung der ersten Säule im Pensionssystem durch die zweite Säule (teilweise verpflichtend!) sowie auf eine geringere Nettoersatzrate.

Leider bedeuten all diese Maßnahmen, dass es weniger Auszahlungen im Verhältnis zu den Einzahlungen geben wird, gemessen am (eben nicht nachhaltigen!) Status quo. Das “Menü” an Handlungsalternativen ist eben eines, das Ausgaben und Einnahmen langfristig ins Gleichgewicht bringen soll… Aber das Problem wird nicht dadurch entschärft, dass man einfach zuwartet.

Pensionen, Planbarkeit und “Automatismen”

Oft wird auch darüber gestritten, ob es im Pensionssystem Automatismen geben soll oder nicht. Ein effizientes Pensionssystem ist jedenfalls für die Menschen planbar. Planbar wird ein System aber nur dann, wenn es klare Spielregeln gibt, die nicht alle paar Jahre wieder geändert werden. In diesem Sinne kann zum Beispiel das schwedische Pensionssystem als Vorbild dienen: die Auszahlungsleistungen ergeben sich im Prinzip aus den geleisteten Einzahlungen sowie der durchschnittlichen Zeit des Pensionsbezugs. Das Pensionsantrittsalters selbst ist in diesem System innerhalb gewisser Grenzen sogar frei wählbar, für Bezieher niedriger Pensionen gibt es selbstverständlich einen sozialen Ausgleich.

Das Thema Nachhaltigkeit im Pensionssystem sollte daher auch nicht mit Fragen der Verteilung und der sozialen Ausrichtung des Systems vermischt werden. Auch und besonders sogar in einem transparenten und nachhaltigen Pensionssystem, das langfristig im Gleichgewicht ist, können und müssen soziale Aspekte – noch dazu in einem wohlhabenden Land wie Österreich – berücksichtigt werden.

Auch wäre es ein fataler Trugschluss, alle notwendigen Maßnahmen zur Stabilisierung des Pensionssystems von heute auf morgen gleich umsetzen zu wollen. Da ein Pensionssystem eben auf Planbarkeit beruht, muss es darum gehen, rasch ein nachhaltiges und stabiles System zu entwerfen und auch mit Zeitangaben versehen zu beschließen, dann aber mit großzügigen Übergangsfristen auch den Vertrauensschutz von Menschen, die bereits in Pension sind oder knapp vor dem Pensionsantritt stehen, ernst zu nehmen und zu gewährleisten.

Zankapfel Frauenpensionsantrittsalter

Eine besondere Detailfrage des Pensionssystems betrifft auch das Pensionsantrittsalter von Frauen im Vergleich zu jenem von Männern. Es drängen sich kaum griffige Argumente dafür auf, dass bei längerer Lebenserwartung und damit längerer Pensionsbezugsdauer auch noch das Pensionsantrittsalter von Frauen prinzipiell niedriger als jenes von Männern liegen müsste.

Auf der anderen Seite ist es richtig, dass Frauen immer noch für gleiche Arbeit vielfach geringere Einkünfte als Männer beziehen (das wirkt sich auf die Pensionshöhe aus!) und in der derzeitigen Situation darüber hinaus vielfach auch durch Kindererziehungszeiten stärker von Armut in der Pension bedroht sind. Es ist aber nicht Aufgabe des Pensionssystems, über in ihrer Auswirkung auf die Pensionshöhe äußerst zweifelhafte Ungleichbehandlungen wie einen früheren Pensionsantritt hier Abhilfe zu schaffen – das können derartige Regelungen auch gar nicht leisten.

Vielmehr müsste man hier an der Wurzel des eigentlichen Problems ansetzen und den Gender Gap über geeignete Maßnahmen schließen oder zumindest möglichst reduzieren sowie beispielsweise für Kindererziehungszeiten (dann sowohl bei betroffenen Männern als auch Frauen!) transparente Beitragsgutschriften auf das Pensionsskonto vornehmen. Auch “Splitting-Modelle” sind durchaus diskussionswürdig, bei denen im Rahmen von Partnerschaften und/oder gemeinsamer Kindererziehung die Pensionsbeiträge gleichermaßen den Partnern auf ihren jeweiligen Pensionskonten gutgeschrieben werden. Und selbstverständlich gilt auch hier, dass es sinnvolle Übergangsfristen und Einschleifregelungen geben muss.

Vorläufiges Fazit

Die Herausforderungen an des Pensionssystems sind leider erheblich, die Nachhaltigkeit langfristig keinesfalls derzeit gesichert. Maßnahmen, die in Form von Stabilitätsmechanismen oder Nachhaltigkeitsmechanismen das Pensionssystem finanziell stabiler und unabhängiger von der Entwicklung exogener Faktoren machen, gibt es im internationalen Vergleich bereits in verschiedensten Ausprägungen. Die Diskussion in Österreich, die sich vorwiegend um das Pensionsantrittsalter dreht, greift hier deutlich zu kurz. Grundlegende strukturelle Maßnahmen sind dringend erforderlich. Und hier wäre eine offene öffentliche Diskussion ohne Tabus sehr wünschenswert, weil wir als Gesellschaft letztlich selbst entscheiden wollen und auch müssen, an welchen dieser Schrauben wir letztlich drehen wollen. Dass wir aber an Schrauben drehen müssen, wenn auch künftige Pensionen gesichert sein sollen, das sollte in einer politischen Diskussion nicht die Frage sein. Denn nur ein gesichertes Pensionssystem kann den Menschen auch die Sicherheit im Alter geben, die sie zu recht in einem Land wie Österreich erwarten.

Griechenlands Pro-Kopf-BIP im Vergleich

Wurde Griechenland “kaputtgespart”?

Immer wieder geistert eine Zahl herum: Griechenland habe aufgrund der Sparpolitik mehr als 25% seiner Wirtschaftsleistung (BIP) eingebüßt. Und das könnte als Beweis dafür dienen, dass Sparen der falsche Weg gewesen wäre.

Unabhängig davon, dass “Sparen” nicht die korrekte Bezeichnung dafür ist, wenn die hohe Differenz zwischen Ausgaben und Einnahmen, also ein laufender Fehlbetrag im Staatshaushalt verringert wird und trotzdem per Saldo immer noch neue Schulden angehäuft werden – und unabhängig von der Notwendigkeit struktureller Reformen im Bereich der Verwaltung, des Rechtsrahmens (Grundbuch), des Steuersystems, des Pensionssystems und vieler anderer Bereiche, die erst einmal auf europäisches Niveau gebracht werden müssen, um die griechische Wirtschaft konkurrenzfähig zu machen: wie “arm” ist Griechenland tatsächlich?

Selbstverständlich ist jeder einzelne arbeitslose oder von Armut gefährdete Mensch einer zu viel – ökonomisch und gesellschaftspolitisch. Die Betrachtung von Durchschnittszahlen ist auch immer nur eine statistische Kenngröße. Trotzdem ist sie aber ein guter Indikator für die Gesamtsituation – und Fragen der Verteilung innerhalb eines Landes liegen selbstverständlich im Verantwortungsbereich der nationalen Regierung. Ein Problem, das im griechischen Steuer- und Transfersystem sicher in den letzten Jahren konsequenter in Angriff genommen hätte werden sollen.

Reales BIP pro Kopf als Indikator

Auf Basis der offiziellen Eurostat-Daten kann man die Entwicklung des Wohlstandes der Bevölkerung unterschiedlicher Länder näherungsweise anhand des realen BIP pro Kopf abschätzen. Berechnet man einen Indikator und setzt ihn im Jahr der Euro-Einführung (1999) auf 100, so kann man die Entwicklung der Kaufkraft der Einkommen gut vergleichen.

Dabei zeigen sich teilweise recht interessante Ergebnisse:

  • Zwischen 1999 und 2007 (also vor der Wirtschaftskrise) ist das griechische Einkommen um 33,9% gestiegen. Im selben Zeitraum jenes in Österreich um nur 16,3% und in Deutschland um 13,3%.
  • Der Absturz des griechischen BIP im Zuge der Wirtschaftskrise und des Zusammenbruchs der griechischen Staatsfinanzen aufgrund der erheblich angehäuften Staatsschulden hat den Wohlstand im Jahr 2013 wieder genau auf das Niveau von 1999 gedrückt. Das Wachstum der Jahre davor war großteils schuldenfinanziert gewesen.
  • Aktuell (2014) liegt das reale BIP je Einwohner in Griechenland trotz der dramatischen Schuldenkrise und der erforderlichen Konsolidierungsmaßnahmen, dem Ende der Kapitalmarktfähigkeit des Staates, einem Schuldenschnitt von mehr als 100 Mrd. EUR vor 3 Jahren und der schweren Vertrauenskrise im Vergleich zu 1999 immer noch um 1,2% höher. Griechenland war also eigentlich bereits auf dem Weg der Besserung.
  • Italien liegt im Vergleich dazu aktuell (Daten für 2014 verfügbar) bei nur 95,8% des Wohlstandes von 1999 (ein Verlust von 4,2%).
  • Bulgarien kann hingegen einen Zuwachs von 92,9% (!) auf 192,9% aufweisen, bei einem gleichzeitigen Schuldenabbau (von 44% des BIP auf 28% zwischen 2003 und 2014).
  • Der Zuwachs an Wohlstand betrug in Deutschland 1999 bis 2014 etwa 18,6%, in Österreich rund 17,3%.

 

 

Griechenland-Referendum: Wie geht es weiter?

Referendum: Sieg der Demokratie?

Das Referendum zum Sparkurs in Griechenland dürfte nun ersten Meldungen zufolge mit einem klaren NEIN ausgegangen sein. Vertreter der griechischen Regierung bezeichnen es schon jetzt als einen „Sieg der Demokratie“.

Dabei war dieses Referendum eher ein Sieg des Populismus und hat die ohnehin schwierige Situation nun dramatisch erschwert. Selbstverständlich steht es der griechischen Regierung und der griechischen Bevölkerung frei, die Bedingungen für eine Kreditvergabe durch die internationalen Geldgeber abzulehnen. Im Falle einer Ablehnung müsste die Konsequenz sein, auf internationale Hilfe gänzlich zu verzichten.

Die griechische Regierung hat aus dem Referendum allerdings eine Abstimmung über den Sparkurs und strukturelle Reformen an sich gemacht und will nun mit scheinbar gestärkten Rücken weiter verhandeln: erklärtes Ziel sind neue Finanzierungen (hier ist von etwa 30 Milliarden € für die nächsten Jahre die Rede) durch die internationalen Geldgeber, eine Stundung aller Zahlungen für die nächsten Jahre bzw. Jahrzehnte und ein Schuldenschnitt (hier wird eine Größenordnung von 50 % kolportiert) – das alles aber ohne strukturelle Reformen im Bereich des Steuersystems, des Pensionssystems sowie generell im Bereich der Verwaltung. Die in den letzten Jahren abgebauten Beamten sollen wieder aufgestockt werden, eine Anhebung der im internationalen Vergleich um etwa 8-10 Prozentpunkte geringeren Steuer- und Abgabenquote wird abgelehnt, obwohl die Effizienz des Steuersystems und auch die Steuergerechtigkeit in Bezug auf die Besteuerung höherer Einkommen in Griechenland durchaus fraglich sind und die Auszahlungen des Pensionssystems die Einzahlungen bei weitem übersteigen.

Das als vorbildlich demokratisch dargestellte Referendum soll also lediglich politischen Druck erzeugen, damit die Steuerzahlerrinnen und Steuerzahler der anderen europäischen Länder weitere Hilfspakete für Griechenland schnüren, ohne dass durch strukturelle Reformmaßnahmen zumindest auf die Chance hingearbeitet wird, dass diese ihr Geld auch wieder zurückbekommen.

Wie geht es weiter?

Viel bedeutender als das nun abgeschlossene Referendum ist aber die Frage, wie es nun für Griechenland weitergehen kann. Es bleibt nach wie vor sehr zweifelhaft, ob die griechischen Banken nach diesem Ergebnis nun wieder öffnen können. Viel wahrscheinlicher ist genau vom Gegenteil auszugehen, nämlich dass nun erst recht das Bargeld in Griechenland knapp werden wird. Auch an das Ende der Devisenverkehrskontrollen ist kaum zu denken, da der Abfluss ins Ausland wohl weiter erheblich wäre. Und die Illusion des griechischen Finanzministers, dass nämlich die EZB mit sich über eine Ausweitung der Notfallkredite (ELA) für griechische Banken verhandeln ließe, vernachlässigt hartnäckig, dass die EZB hier faktisch keinen Verhandlungsspielraum hat, da sie sich strikt an die ihr vorgegebenen Regeln zu halten hat, wenn sie nicht die gesamte Glaubwürdigkeit der Eurozone aufs Spiel setzen will. Außerdem wären Notfallkredite der Zentralbank in Milliardenhöhe nichts anderes als eine Finanzierung öffentlicher Defizite durch die Notenpresse, wodurch über den Umweg einer (allerdings aufgrund der derzeitigen niedrigen Preissteigerungen wohl kaum in der Öffentlichkeit beachteten) höheren Inflationsrate für alle anderen Mitglieder der Eurozone die Bevölkerung der anderen Mitgliedstaaten die Rechnung letztlich bezahlen müsste. Denn auch die EZB kann Vermögen nicht einfach herzaubern, sondern nur Geld zur Verfügung stellen, das in irgendeiner Form in der Realwirtschaft gedeckt sein muss, wenn keine unerwünschten Umverteilungseffekte stattfinden sollen.

Und genau diese möglichen Umverteilungseffekte führen nun zu einer wirtschaftspolitisch brenzligen Situation: Das griechische Votum wird auf den Märkten als Weigerung verstanden, das schon vor einiger Zeit aus dem Ruder gelaufene griechische Budget aus eigener Kraft zumindest langfristig stabilisieren zu wollen. Und genau dieser gute Wille wäre der Schlüssel gewesen, um weitere Finanzierungen und Hilfspakete zumindest im Ansatz rechtfertigen zu können. Für die Politiker der anderen Staaten in der Eurozone ergibt sich jetzt aber die Schwierigkeit, ihren Wählerinnen und Wählern zu erklären, warum weitere Finanzhilfen in Milliardenhöhe nach Griechenland geschickt werden sollen, wenn sogar die griechische Regierung selbst jegliche nachhaltige Stabilisierung des Staatshaushaltes erst gar nicht einmal versuchen will.

Außerdem ist die Gefahr von Dominoeffekten nun weiter massiv gestiegen: einerseits besteht das Risiko auf den Finanzmärkten, dass es zu Spekulationen gegen andere südeuropäische Staaten, wie zum Beispiel Spanien oder Portugal, kommen könnte, andererseits wäre ein Nachgeben der anderen Länder nun wohl als Beweis dafür zu interpretieren, dass man nur laut genug schreien und innerhalb der Fristverlängerung weiter eine Verzögerungstaktik spielen muss, um letztlich seine Position durchzusetzen. Damit hätte aber jedes Land, in dem auch das Budget stabilisiert werden muss, sofort jeglichen Anreiz verloren, sich an gemeinsam definierte Spielregeln zu halten.

Da nun also die Kosten eines Nachgebens der anderen Länder in der Eurozone durch die griechische Verhandlungstaktik massiv gestiegen sind, ist der Austritt Griechenlands aus der Währungsunion bzw. ein möglicher Zusammenbruch der griechischen Wirtschaft relativ gesehen weniger dramatisch geworden. Dabei darf aber nicht vergessen werden, dass der Grexit immer noch zu massiven ökonomischen Konsequenzen auf den Finanzmärkten und in der Realwirtschaft auch auf globaler Ebene führen kann.

Für Griechenland selbst werden die nächsten Tage von noch größerer Unsicherheit als bisher geprägt sein. Zwar kann seriös heute noch niemand genau abschätzen, was die nächste Zukunft bringen wird, aber einige Risken können jedenfalls nicht ausgeschlossen werden:

  • Die Knappheit an Zahlungsmitteln könnte zu einem Zusammenbruch des Geldsektors sowie der griechischen Kreditinstitute führen. Damit würde der Zahlungsverkehr im Inland, aber auch ins Ausland stocken bzw. stillstehen.
  • Ohne weitere Finanzhilfen wird der öffentliche Sektor in Griechenland nicht mehr in der Lage sein, die Gehälter für Beamte, aber auch Pensionen weiterhin zur Gänze auszubezahlen. Streiks, aber auch darüber hinausgehende Unruhen sind dann leider nicht ausgeschlossen. Ein Stillstand des öffentlichen Verkehrs oder der Gesundheitsversorgung könnte massive unmittelbare Auswirkungen auf die griechische Bevölkerung haben.
  • Durch die Einschränkungen im Zahlungsverkehr kann es zu massiven Behinderungen der Importe kommen, wodurch es in Griechenland zu Versorgungsengpässen kommen könnte. Auch schon die Angst vor solchen Engpässen könnte Hamsterkäufe hervorrufen und damit die Engpässe erst recht auslösen oder zumindest beschleunigen.
  • Letztlich würde die ohnehin schon schwache griechische Wirtschaft massiv weiter gedämpft werden, ein massiver Anstieg der Arbeitslosenquote wäre ebenso zu befürchten wie ein erheblicher Zuwachs an von Armut gefährdeten Haushalten.
  • Kommt es zu keiner weiteren Zufuhr mit Bargeld von außen, so müsste Griechenland wohl oder übel eine eigene Währung einführen und damit faktisch aus der Eurozone ausscheiden. Dabei ist es weniger von Bedeutung, ob es dafür rechtliche Spielregeln gibt oder nicht (diese gibt es nämlich nicht), sondern rein praktisch wäre dies der einzige Ausweg für Griechenland, um einen totalen Zusammenbruch des Wirtschaftssystems zu vermeiden.

Selbstverständlich bleibt noch zu hoffen, dass irgendwie eine Lösung des Problems nun doch noch gelingt. Derzeit liegt aber noch kein Patentrezept vor, das auch zumindest eine halbwegs realistische Chance für seine Umsetzung aufweisen kann. Und sogar wenn es eine Lösung gäbe, könnte diese wohl nicht bereits innerhalb weniger Tage wirksam werden. Die Lage bleibt also vorerst extrem unberechenbar und leider auch ökonomisch wie politisch durchaus brenzlig.

Steuerreform: Der große Wurf?

Die “größte Steuerreform aller Zeiten”?

Vom Volumen her ist die Steuerreform mit fünf Milliarden Euro tatsächlich eine große Steuerreform. Diese Tarifreform geht auch generell sicher in die richtige Richtung, wenn als Ziel eine Verflachung der Progression und damit die Entlastung mittlerer Einkommen im Vordergrund stehen soll. So verwundert es auch nicht, dass die Regierung bereits vor Monaten weitestgehende Einigkeit über den Tarif herstellen konnte.

Eine wirklich mutige Tarifreform ist es dennoch nicht geworden: Die Einrechnung der extrem komplexen und unhandlichen Steuerbegünstigung der Sonderzahlungen (13. und 14. Gehalt) für die Unselbständigen und des Gewinnfreibetrags für die Selbständigen ist ebenso ausgeblieben wie eine radikale Vereinfachung im Bereich der Steuerausnahmen. Auch die kalte Progression wird nicht durch eine automatische Anpassung der Grenzwerte der Tarifstufen abgeschafft. Ebenso wird eine Umstellung auf ein stufenloses System (siehe Gleittarif) nicht vorgenommen.

Abseits vom Tarif sind die großen Veränderungen ebenfalls ausgeblieben. Was Fragen der Steuerstruktur betrifft, ist man noch sehr konventionell geblieben. Da bleibt noch viel Raum für zukünftige Reformen, sowohl im Bereich des Steuersystems als auch insbesondere im Bereich des Transfer- und Sozialversicherungssystems oder bei den Lohnnebenkosten.

Gegenfinanzierung

Die Gegenfinanzierung ist zu etwa 1 Mrd. EUR über Ausgabensenkungen vorgesehen. Das ist einerseits nicht so viel wie erhofft, andererseits aber kurzfristig gar nicht so einfach zu erreichen. 2 Mrd. EUR sollen über Steuerbetrugsbekämpfung erwirtschaftet werden, 850 Mio. EUR über Selbstfinanzierungseffekte. Der Rest betrifft Erhöhungen im Bereich der Umsatzsteuer, der Grunderwerbsteuer sowie der Kapitalertragsteuer.

Damit wird klar, dass zumindest ein nicht unerheblicher Teil der Tarifentlastung über Steuererhöhungen wieder wettgemacht wird. Eine nachhaltige Senkung der Steuer- und Abgabenquote ist also nicht zu erwarten, der gesamtwirtschaftliche Entlastungseffekt für das Budget daher möglicherweise geringer, als die erwarteten 850 Mio. EUR.

Auch die anderen Gegenfinanzierungsmaßnahmen scheinen am oberen Rand der Prognosen angesiedelt zu sein: Auch wenn Steuerbetrugsbekämpfung langfristig ein gewisses Potenzial hat (und auch aus Gründen der Steuergerechtigkeit jedenfalls – unabhängig von der Steuerreform – verstärkt verfolgt werden muss), so dürften derartig hohe Einnahmen letztlich nicht kurzfristig zu erzielen sein. Und außerdem sind diese Maßnahmen auch einnahmenseitige Maßnahmen, die keinen dämpfenden Effekt auf die Steuerquote ausüben (mögen sie noch so sinnvoll, begrüßenswert und gerecht sein).

Auf die Anhebung des Spitzensteuersatzes auf 55% hätte man übrigens getrost verzichten können, dieser symbolische Akt für etwa 400 Personen belastet in internationalen Vergleichen den Standort unnötig, da immer die Höchststeuersätze in den Statistiken ausgewiesen werden. Diese Anhebung hat aber neben der Rettung des Anscheins einer “Millionärssteuer” auch den pragmatischen Grund, dass aus verfassungsrechtlichen Gründen damit erst die Anhebung der KeSt auf 27,5% technisch ohne Verfassungsmehrheit möglich wird.

Effekte auf den Budgetpfad

Sollte sich also tatsächlich die Gegenfinanzierung als zu optimistisch angesetzt herausstellen, dann könnten im Budget Mindereinnahmen von einigen hundert Mio. EUR oder sogar im Miiliardenbereich drohen – und das insbesondere im Jahr 2016, wenn Österreich nun endgültig das strukturelle Nulldefizit erreichen muss.

Ironischerweise bedeutet das auch, dass dann verstärkt Maßnahmen auf der Ausgabenseite gesetzt werden müssen, sodass über diesen Umweg dann vielleicht doch noch die langfristig wichtige Senkung der Steuer- und Abgabenquote erforderlich sein könnte. Denn Steuererhöhungen knapp nach der “großen Steuerreform” wären politisch wohl kaum zu argumentieren – und neue Schulden wären letztlich nur eine Verlagerung des Problems in die Zukunft und die Steuern von morgen und darüber hinaus derzeit im Zusammenhang mit den Entwicklungen der Bonitäten öffentlicher Rechtsträger in Österreich undenkbar. Für den Stabilitätspfad könnte es nun in den nächsten Monaten tatsächlich eng werden.

Fazit

Auf der Tarifseite wurde ein solides, wenn auch nicht übermäßig innovatives Paket geschnürt, das auch vom Volumen her im sinnvollen Bereich ist und mittlere Einkommen wirksam entlastet. Große Knalleffekte und strukturelle Reformen bleiben aus – die eher unpopulären einnahmenseitigen Maßnahmen reduzieren den Nettoenlastungseffekt aber schließlich leider doch merklich. Inhaltlich und/oder emotional heikle Themen wie die Anhebung der KeSt (ohne Senkung der Körperschaftsteuer im Gegenzug!) oder die Aufweichung des Bankgeheimnisses dürften politisch noch nicht endgültig gegessen sein: Bei der KeSt wäre eine Verfassungsmehrheit erforderlich, das Bankgeheimnis ist in Österreich ein sehr emotionales Thema. Die Steuerreformdebatte ist daher sicher noch nicht abgeschlossen. Und es bleiben trotz einiger Schritte in die richtige Richtung beim Tarif (und einigen Fehltritten bei der Gegenfinanzierung) auch noch viele Themen für künftige Reformen übrig: beispielsweise radikale Vereinfachungen bei den Bemessungsgrundlagen und den Tarifausnahmen, die Schnittstellen zum Sozialversicherungs- und Transfersystem, eine nachhaltige Senkung der Steuer- und Abgabenquote über die Ausgabenseite (siehe ausgabenseitige Einsparungsmöglichkeiten).

Ausgabenseitige Einsparungsmöglichkeiten

Voraussetzung: Keine Reform auf Pump oder mit zusätzlichen Steuerbelastungen

Im Rahmen der bevorstehenden Steuerreform wird die Diskussion über mögliche Gegenfinanzierungen von immer größerer Bedeutung.

Da Österreich die Kriterien des Stabilitätspaktes erfüllen muss, um keine weiteren mittelfristigen Herabstufungen der Bonität und somit letztlich langfristig höhere Zinszahlungen auf die Staatsschulden zu befürchten, ist der budgetäre Spielraum ohne die Einführung neuer steuerlicher Belastungen äußerst gering. Neue Steuern oder eine 100% Gegenfinanzierung durch Steuererhöhungen würden aber nur zu einer Strukturverschiebung führen, nicht jedoch die im internationalen Vergleich hohe gesamte Abgaben- und Steuerquote senken und damit wirksame Wirtschaftsimpulse auslösen.

Daher sollte das Ziel sein, primär zumindest mittelfristig die Ausgabenseite zu reduzieren. Nur so kann eine nachhaltige Steuerentlastung für den Mittelstand erzielt werden, die eine wesentliche Zielsetzung der Reform darstellt. Allerdings ist das kurzfristig nicht ganz einfach, da viele Maßnahmen erst verzögert ihre Wirkung entfalten.

Trotzdem sollte eine Gesamtreform angestrebt werden – nicht zuletzt auch, um Sicherheit und Planbarkeit in Bezug auf die Zukunft zu ermöglichen. Eine größere Reform (wie z.B. eine grundlegende Tarifreform) sollte nicht daran scheitern, dass diese nicht von heute auf morgen finanzierbar ist. Denkbar wäre hier ein Stufenplan (siehe dazu Steuerreform mit Stufenplan?).

Auch wenn der volle Entlastungseffekt einer Steuerreform daher nicht sofort wirksam werden kann, muss nun rasch eine Zielstruktur für ein neues Steuersystems präsentiert werden, wobei im Idealfall auch die anderen Subsysteme (Sozialversicherung, Transfersystem, Subventionssystem) berücksichtigt und optimiert werden sollten.

Ausgabenseitige Potenziale: Aufgaben und Effizienz

Soll also die gesamte Abgabenquote bei einem stabilen Haushalt tatsächlich reduziert werden, so führt an einer Senkung der Staatsausgaben kein Weg vorbei. Ausgangspunkt für eine Ausgabensenkung muss immer eine kritische Diskussion und gesellschaftspolitische Einigung darüber sein, welche Aufgaben der Staat mit jeweils welcher Priorität erfüllen soll. Auf Basis dieser Zielvorgabe kann dann letztlich auch die Planung der Ausgaben vorgenommen werden. Unabhängig von dieser generellen Ausrichtung der Haushaltspolitik ist aber jedenfalls dafür zu sorgen, dass die vom Staat übernommenen Aufgaben effizient, also zu den geringsten möglichen Kosten durchgeführt werden.

Selbstverständlich gibt es viele Möglichkeiten, Ausgaben des Staates zu optimieren. Besonders lohnend sind hierbei die Vermeidung von “Reibungsverlusten” an den Schnittstellen unterschiedlicher Systeme (beispielsweise Steuersystem und Sozialversicherungssystem oder Transfersystem), Effizienzsteigerung bei Verwaltungsprozessen sowie Maßnahmen, die Entscheidungskompetenz, Durchführungskompetenz sowie Finanzierungsverantwortung bei jeweils einem Akteur in Übereinstimmung bringen (hier liegen z.B. im Gesundheitssystem noch wesentliche weitere Potenziale).

Mögliche Ansatzpunkte für Ausgabenreduktionen

Ohne Anspruch auf Vollständigkeit sind folgende Ansatzpunkte für eine ausgabenseitige Konsolidierung sicher lohnend (die Volumina sind grobe Schätzungen aus unterschiedlich Quellen und hängen selbstverständlich auch maßgeblich von Umfang und Zeitstruktur der Maßnahmen ab):

  • Vereinfachung des Steuersystems und Vereinheitlichung der Sozialversicherungssysteme sowie Angleichen der Bemessungsgrundlagen Steuer und SV inkl. gemeinsame Einhebung: Reduktion der Verwaltungskosten, damit Effizienzsteigerung im Rahmen der Finanzverwaltung: 50-500 Mio. (zeitlich gestaffelt wirksam)
  • Straffung von Förderungen (Abbau von Mehrfachförderungen): bei dem Gesamtvolumen der Förderungen von rund 15 Mrd. wäre ein Prozent etwa 150 Mio. Durch Einführung von lückenlosen „Förderkonten“, auf denen alle Förderungen, die einem Fördernehmer von allen Förderstellen gewährt werden, erfasst werden, könnten daher relativ rasch Größenordnungen von 500 Mio – 1 Mrd. erzielt werden. Im Bereich der Transferleistungen gelten ähnliche Überlegungen, vor allem eine Stärkung der individuellen Subjektförderungen auf Basis eines “Transparenzkontos” (statt vielfältiger Objektförderungen) wäre hier gerechter, wirksamer, treffsicherer und kostengünstiger.
  • Verwaltungsreform: Ein Teil der wesentlichen Maßnahmen wurde bereits umgesetzt. Trotzdem sind noch einige hundert Mio. EUR durch jeweils kleinere Maßnahmen mittelfristig möglich (siehe 599 Vorschläge des Rechnungshofs). Auch die Weiterentwicklung der Rechnungslegungsvorschriften und Harmonisierung zwischen den Gebietskörperschaften sollte vorangetrieben werden.
  • Steuerbetrugsbekämpfung: 300-500 Mio. EUR
  • Pensionssystem: vollständige Umsetzung des Pensionskontos und Anhebung/Angleichung des Pensionsantrittsalters: einige hundert Mio. EUR (je nach Grad der Umsetzung, zeitlich gestaffelt – langfristig von besonderer Bedeutung)
  • Gesundheitssystem: Verlagerung von stationärem Bereich hin zu niedergelassenen Ärzten (Ärztezentren etc.) sowie klare Finanzierungsstrukturen und Kompetenzen würde ebenfalls einige hundert Mio. EUR bringen. Langfristig würde auch die Verlagerung von Mitteln in den Bereich der Prävention Kostensenkungspotenzial bringen (kurzfristig allerdings Mehrkosten verursachen).

Mit den genannten Maßnahmen wären Einsparungspotenziale von etlichen hundert Mio. EUR bis in den einstelligen Milliardenbereich möglich. Manche dieser Vorhaben würden aber auch Anfangsinvestitionen erforderlich machen, um die langfristigen Potenziale nützen zu können. Nichtsdestotrotz werden wir um die Optimierung des Staats- und Verwaltungsbereichs sinnvollerweise nicht herumkommen. Und eine Entlastung, die Wirtschaftsimpulse setzt, muss sich auf die Ausgabenseite konzentrieren.

Umsatzsteuer: ermäßigter Tarif?

Vereinfachung auch bei der USt?

Im Rahmen einer Steuerreform sollte es ein wesentliches Ziel sein, das Steuersystem deutlich zu vereinfachen. Dabei geht es hauptsächlich um die Abgrenzung der Bemessungsgrundlagen – auch im Falle unterschiedlicher Steuersätze für ein und dieselbe Steuer. Bei der USt beträgt der Normalsteuersatz 20% und gilt für die meisten Güter und Dienstleistungen. Die Liste der Ausnahmen, also vor allem in Bezug auf einen ermäßigten Steuersatz, ist aber lang – und nicht immer ganz einsichtig oder gar leicht zu administrieren.

So ist beispielsweise nicht immer klar, zu welchem Steuertarif Leistungsbündel (gemeinsam) versteuert werden müssen. Die entsprechenden Richtlinien regeln hier durchaus bemüht mit einer Flut an Einzelvorschriften, letztlich bleiben aber immer noch erhebliche Unsicherheiten. Während also z.B. klar ist, dass “Pferde zum Schlachten” oder Hausgeflügel einem USt-Satz von 10% unterliegen und der Verkauf von Wildenten zum Normalsteuersatz von 20% besteuert werden muss, wird es bei der Frage, ob ein Frühstück im Rahmen einer Beherbergung “ortsüblich” und damit ebenfalls begünstigt ist, schon komplexer: Wird dabei z.B. Sekt serviert, geht die Finanzverwaltung davon aus, dass das Frühstück nicht ortsüblich ist und daher aus dem Komplettangebot herausgerechnet und mit 20% versteuert werden muss…

Eine Vereinfachung und Reduktion der Ausnahmen macht daher systematisch generell jedenfalls Sinn in Hinblick auf eine Verschlankung des Steuersystems.

Abschaffung aller Ausnahmen?

Die ermäßigten Tarife beziehen sich im Wesentlichen (abgesehen von eher unbedeutenden Spezialfällen) auf zwei Steuersätze: 10% und 12%.

So gilt etwa der ermäßigte Steuersatz von 12% insbesondere für Abhofverkauf von Wein. Sowohl die ökonomische Bedeutung dieser Ausnahme als auch deren inhaltliche Begründung scheinen sich dem Betrachter nicht leicht zu erschließen. Eine Abschaffung (also Anhebung auf den Normalsteuersatz) sollte daher keine großen Probleme (aber auch keine nennenswerten budgetären Auswirkungen) bereiten.

Der andere ermäßigte Steuersatz von 10% umfasst eine größere Zahl von Produktgruppen und ist systematisch vor allem mit zwei Argumenten zu begründen:

  • Lebensnotwendige Güter sollen begünstigt sein: Lebensmittel, Mieten, Arzneimittel etc. sind Beispiele für diese Ausnahmen.
  • Aus gesellschaftspolitischer Sicht förderungswürdige Güter (Bücher, Zeitschriften,…) sollen gefördert werden.
  • Bestimmte Güter werden mit anderen indirekten Steuern oder Abgaben zusätzlich belastet, die z.B. unmittelbar der Gemeinde oder einer anderen Gebietskörperschaft zugutekommen (und nicht wie die USt im Rahmen des Finanzausgleichs aufgeteilt werden) – im Gegenzug ist die USt eben niedriger. Beispiele dafür sind Tourismusleistungen, die zusätzlich noch Ortstaxen oder Tourismusabgaben unterliegen, oder Kulturveranstaltungen, die der Vergnügungssteuer unterliegen.

Jene Ausnahmen, die keiner dieser drei Gruppen zuzuordnen sind (Tierfutter,…) könnten im Sinne einer Vereinfachung durchaus ersatzlos gestrichen werden.

Chancen und Risken einer USt-Reform

Was könnte im Rahmen einer Steuerreform nun im Zusammenhang mit der USt angedacht werden?

  • Die Vereinfachung des Systems macht Sinn. Ausnahmen, die schwer administrierbar und volkswirtschaftlich oder gesellschaftspolitisch nicht zu begründen sind, könnten gestrichen werden (also dem Normalsteuersatz unterworfen werden). Dadurch würde aber nicht viel an Volumen bewegt werden – was ja auch nicht das primäre Ziel einer Vereinfachung ist.
  • Die Verteilungswirkung der USt ist wissenschaftlich nicht ganz einfach zu ermitteln – eine gewisse Einigkeit besteht allerdings darin, dass sie tendenziell “regressiv” wirkt, also geringere Einkommen relativ höher belastet. Eine Anhebung der USt trifft daher jene relativ mehr, die einen größeren Teil ihres Einkommens für Konsum ausgeben.
  • Eine Anhebung des ermäßigten Steuersatzes ist aus EU-rechtlichen Gründen nicht möglich, wenn man den derzeitigen Satz von 10% für Lebensmittel etc. gleichzeitig unverändert lassen möchte.
  • Für Bereiche, die zusätzlich mit anderen Steuern und Abgaben belastet sind (Tourismus, etc.), könnten Wettbewerbsnachteile entstehen.
  • Mit über 25 Mrd. EUR Aufkommen ist die USt eine Massensteuer. Veränderungen des Tarifs sind daher aus budgetärer Sicht extrem wirksam (können rasch die Dimension von einigen hundert Millionen oder auch im Milliardenbereich erreichen) – betreffen somit den größten Teil der Bevölkerung.
  • Soll eine USt-Reform primär der Gegenfinanzierung einer Lohnsteuer- bzw. Einkommensteuertarifreform dienen, so gilt wie für andere Gegenfinanzierungsmaßnahmen auf der Einnahmenseite: Bei einer 100% Gegenfinanzierung (diese ist aber nicht ernsthaft im Gespräch bei der USt) würde sich die Steuer- und Abgabenquote nicht reduzieren. Es würde zwar zuerst mehr vom Einkommen netto übrig bleiben, dafür wären bestimmte Güter dann teurer, sodass der Kaufkrafteffekt neutralisiert würde. Aufgrund der Verteilungswirkung vor allem bei den ermäßigten Tarifen könnte hier aber sogar in Summe ein konsumdämpfender Effekt entstehen, weil geringere Einkommen eine höhere Konsumquote aufweisen.
  • Eine USt-Reform ist nicht losgelöst vom Finanzausgleich zu sehen, vor allem in Bereichen, in denen zwar ein ermäßigter USt-Satz besteht, aber noch zusätzliche Abgaben anderer Gebietskörperschaften  (Vergnügungssteuer, Tourismusabgaben,…) bestehen.
  • Schließlich sind auch Wettbewerbseffekte im internationalen Kontext zu berücksichtigen (z.B. im Tourismus).

Eine vereinfachende USt-Reform mit Augenmaß wäre langfristig eine sinnvolle Maßnahme, als Gegenfinanzierungsoption für eine Steuerreform ist die USt aber ein sensibler Bereich, der sehr sorgfältig behandelt werden sollte.

Steuerreformvorschläge ÖGB/AK und ÖAAB

Da beide Vorschläge sehr interessant sind (der ÖGB/AK-Vorschlag führt sechs statt drei Progressionsstufen ein; der ÖAAB-Vorschlag beinhaltet im Kern einen Gleittarif, wie von mir schon seit einigen Jahren vorgeschlagen), habe ich versucht, die Tarife zumindest annähernd nachzurechnen (was mir bei beiden nicht exakt gelungen ist, da Absetzbeträge, Freibeträge und Familienförderungsaspekte in den Tarifen recht unterschiedlich vorgesehen sind bzw. wirken – näherungsweise ergibt sich aber zumindest ein Hinweis auf die Eigenschaften der unterschiedlichen Tarife).

Die Verläufe der Durchschnittsteuersätze und Grenzsteuersätze sind erwartungsgemäß recht unterschiedlich. Dabei zeigen sich (auch ohne Familienpaket des ÖAAB-Vorschlags) interessante Verteilungswirkungen, die wohl so nicht zu erwarten gewesen wären…

Download: Vergleich Tarifmodelle OEGB-OEAAB

Steuerreform mit “Stufenplan”?

 

Eine sinnvolle Reform des Tarifs in der Einkommen- und Lohnsteuer würde von der Größenordnung her zwischen 4 und 7 Mrd. EUR im Jahr an Mindereinnahmen bedeuten.

Da Österreich die Kriterien des Stabilitätspaktes erfüllen muss und der budgetäre Spielraum ohne die Einführung neuer steuerlicher Belastungen gering ist bzw. neue Steuern nur zu einer Strukturverschiebung führen, nicht jedoch die gesamte Abgaben- und Steuerquote nicht senken würden, sollte das Ziel sein, gleichzeitig die Ausgabenseite zu reduzieren. Nur so kann eine nachhaltige Steuerentlastung für den Mittelstand erzielt werden, die eine wesentliche Zielsetzung der Reform darstellt. Allerdings ist das kurzfristig nicht ganz einfach, da viele Maßnahmen erst verzögert ihre Wirkung entfalten.

Trotzdem sollte eine Gesamtreform angestrebt werden – nicht zuletzt auch, um Sicherheit und Planbarkeit in Bezug auf die Zukunft zu ermöglichen. Eine größere Reform (wie z.B. eine grundlegende Tarifreform – siehe auch Gleittarif) sollte nicht daran scheitern, dass diese nicht von heute auf morgen finanzierbar ist.

Auch wenn der volle Entlastungseffekt einer Steuerreform daher nicht sofort wirksam werden kann, muss bereits so bald wie möglich eine Zielstruktur ein neues Steuersystems definiert werden. Wenn bereits im folgenden Jahr ein Entlastungseffekt stattfinden soll, dann kann über die nächsten Jahre eine schrittweise Entlastung durch eine Parallelrechnung (analog zur Parallelrechnung beim Pensionskonto) wie folgt vorgenommen werden:

  • Bei der Steuerveranlagung werden der alte und der neue Tarif parallel berechnet. Das verursacht IT-gestützt de facto keine nennenswerten Verwaltungskosten.
  • Für jeden Steuerpflichtigen ergibt sich eine Differenz zwischen den beiden Tarifen.
  • Nun wird ein “Mischtarif” kalkuliert – dafür stehen zwei verschiedene Varianten zur Verfügung:

Variante A: Koppelung an die Reduktion der Ausgaben

  • Je nachdem, wie hoch der im Budget verfügbare Betrag für die Steuerentlastung ist, wird die Steuerersparnis durch den neuen Tarif (bzw. allenfalls auch ein Mehrbelastung) aliquot berücksichtigt und wirksam.
  • Beispiel: Für einen Steuerpflichtigen ergibt sich durch die Parallelrechnung eine Steuerersparnis von 1.000 EUR. Die Differenz im gesamten Steueraufkommen beträgt in den alternativen Berechnungsvarianten 5,5 Mrd. EUR, im Budget sind 1,1 Mrd. EUR durch Reformen „verfügbar“. Also sind 20% Entlastungseffekt möglich. Der Steuerpflichtige zahlt daher 200 EUR weniger als er nach dem alten Tarif bezahlt hätte.

Variante B: zeitlich definierte Übergangsphase

  • Es wird eine Übergangsperiode zeitlich festgelegt, z.B. 4 Jahre. Der Entlastungseffekt wird in gleichen Schritten jedes Jahr in Richtung des Zieltarifs angepasst.
  • Beispiel: Für einen Steuerpflichtigen ergibt sich durch die Parallelrechnung eine Steuerersparnis von 1.000 EUR. Die Übergangsfrist beträgt 4 Jahre. Also sind im ersten Jahr 25% Entlastungseffekt möglich, im zweiten Jahr 50% usw. Der Steuerpflichtige zahlt daher im ersten Jahr 250 EUR weniger als er nach dem alten Tarif bezahlt hätte, im zweiten Jahr dann 500 EUR. Nach vier Jahren ist dann der volle Effekt wirksam und die Umstellung auf den neuen Tarif abgeschlossen.